Still ist es. Und flirrt

Geglückt: der neu eröffnete Skulpturenpark am Haus am Waldsee in Berlin

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 5 Min.
Eske Schlüters: Videokunst zum geheimnisvollen Sujet »Doppelgänger«
Eske Schlüters: Videokunst zum geheimnisvollen Sujet »Doppelgänger«

Eine blond Bezopfte mit himmelblauen Puffärmeln und ein orthodoxer Jude mit Schläfenlocken drehen und verbeugen sich vor einem Reststück der Berliner Mauer. Allerdings erst, wenn man ihnen zuvor eine Münze spendiert hat. Eine mutige Parabel auf Klagen vor der Berliner wie wohl auch Jerusalemer Mauer und modernen Ablass kollektiver Sünden hat Bildhauer und Konzeptkünstler Victor Kégli da zusammengezimmert. Dein goldenes Haar Sulamith ... »Herschel & Grete« hat Kégli sein Werk vermutlich im Nachklang von Celans »Todesfuge« benannt. Seine hölzernen Figurinen bilden das Entrée zum soeben eröffneten Skulpturenpark im Haus am Waldsee.

Mit viel Gespür hat Katja Blomberg, die Leiterin des Hauses, den wohl einfallsreichsten und sinnlichsten Parcours seiner Art in Berlin bestückt. Denn wo landauf landab Skulpturenparks, -ufer und -straßen eröffnet werden, ob in Angermünde, am Mittelrhein vor dem Arp-Museum oder im saarländischen St. Wendel, stellt sich nicht selten Beliebigkeit ein. Und so zeitigen gut gemeinte Bespielungen von paradiesischen Parkanlagen wie jenem der Potsdamer Villa Schöningen trotz Beratung durch Städel-Chef Max Hollein und renommierte Künstler gleichwohl »Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle«: So lässt Thomas Schütte unter einem riesigen Ahornbaum martialische wie verquaste Aliens gegeneinander ankämpfen. Die verquollenen Generalsbüsten von Jonathan Meese, die in einem White Cube ihre Wirkung entfalten mögen, erscheinen vor Hecken und Gartenmobiliar kunstgewerblich – wie gruselige Gartenzwerge. Und vollends der Lächerlichkeit preisgegeben wird der kackende Orientale von Chris Ofilis, dessen Hinterlassenschaften sich zu allem Überfluss schlangenartig nach oben strecken. Angesichts der knalligen Kanonen, auf denen sich die Orakelkrake Paulchen von der Fußball-WM erholt, scheint die Devise: Alles so schön bunt hier! Offenbar scheint Hauptanliegen derartig missglückter Ensembles die Bespaßung der Bevölkerung zu sein, deren Niveau man an gemütlichen Marktbrunnen in der Provinz misst.

Dass es auch anders geht, ohne dass man deshalb gleich schwer verdauliche Konzeptkunst bemühen muss, beweist das Haus am Waldsee. Begeistert nehmen große und kleine Besucher die Minigolfanlage in Beschlag, die Ina Weber »Trümmerbahn« getauft hat. Nicht von ungefähr erinnern die malerischen Bauruinen, die sich nun den weißen Bällchen als Hindernisse entgegentürmen, an Brachen der Berliner Stadtlandschaft. Die Künstlerin hat umgesetzt, was sie von ihrem Ostkreuzer Atelier aus erblickt.

Wer sich der munter sprudelnden »Scheuen Fontäne« von Simon Faithfull im Waldsee nähert, wird enttäuscht. Verzieht sich doch das empfindsame Wesen beim Näherkommen umgehend in die Wassertiefen. Erst Stille bringt sie in den Bereich der Sichtbarkeit zurück. Poetisch wird es am Uferrand, wo der Österreicher Peter Ablinger die Böschung mit Schilf bepflanzte, um die Sinne für das Rauschen der Bäume zu schärfen. Im Winde flirren die Planen: Mit bunten Papierstreifen hat Martin Pfeifle ein charmantes dreiteiliges Luftschlösschen errichtet. Wenn es der Wind oder der Besucher durchstreift, lösen sich die Räume auf – und evozieren heitere, mediterrane Stimmung. Kein Wunder, gehört doch Pfeifle zur aktuellen Ausstellung der Villa Romana-Stipendiaten im Haus am Waldsee.

Die am Florentiner Stadtrand gelegene, mit 40 Zimmern geräumige Villa wurde 1905 von Max Klinger mit privaten Mitteln aus dem Kreise seiner Künstlerfreunde, darunter vor allem der Berliner Mäzen Eduard Arnhold, erworben. Seitdem wird alljährlich besonders begabten bildenden Künstlern dort ein zehnmonatiges Stipendium verliehen – als bewusstes Gegenstück zu den staatlichen Auszeichnungen. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörten berühmte Gäste zu den Stipendiaten wie Georg Kolbe, Max Beckmann, Käthe Kollwitz, Ernst Barlach oder Max Pechstein. Ab 1939 drängte das Reichs-Propaganda-Ministerium der Institution die Stipendiaten auf. Dennoch gelang dem Maler Hans Purrmann das Kunststück, während der Nazizeit Freiräume für in Deutschland missliebige Künstler zu erhalten. Auf sein Betreiben hin wurde 1954 der Villa-Romana-Preis wieder begründet. Namen wie Georg Baselitz, Anna Oppermann, Markus Lüpertz, Christiane Möbus, Michael Buthe und Katharina Grosse begleiten die Arbeit der Institution seit dieser Zeit.

Die Qualität der nun im Haus am Waldsee gezeigten Arbeiten der aktuellen Preisträger fällt allerdings ziemlich gemischt aus. Raffiniert lotet die Videokünstlerin Eske Schlüters das Motiv des »Doppelgängers« aus, in dem sie Schnipsel aus Spielfilmen zu dem geheimnisvollen Sujet collagiert. Interessant auch Anna Möllers Objekte aus maronefarbener Rohseide, die zwischen Designermöbel und organischer Plastik oszillieren. Es verführt zum Sinnieren an über die Grenzen zwischen Kunst und Kunstgewerbe.

Problematischer, ja trivialer sind da schon Kalin Lindenas Papiere, die auf der Terrasse der Florentiner Künstlerschmiede vor sich hin rotteten und Abdrücke von Gartenstühlen konservierten. Da versprüht der Skulpturenpark doch mehr Esprit. Michael Sails-torfers »Wohnen mit Verkehrsanbindung« hat eine niederbayrische Bushaltestelle als Überlebenseinheit mit Stuhl, Tisch, Herd und Abort ausgestattet. Das Leben als Warteschleife? Aus einem anderen Häuschen vernehmen wir zwischen Cellotönen Froschquaken und Apfelkauen. Die Klangarbeit des Niederländers William Engelen macht in einem Bauwagen die aktuellen Wetterdaten hörbar. Indem er sie mit den Mittelwerten des letzten Dezenniums vergleicht, entsteht aus dem aktuellen Moment und den Abweichungen heraus eine Symphonie, zu der auch ein Gartenlied gehört. Eine der lauschigsten Adresse für die heurige Sommerglut in Berlin ist die Argentinische Allee 30. Gleich neben dem Schlachtensee.

»Alloro – Villa-Romana-Preisträger 2009-2010« bis 15. August im Haus am Waldsee, Berlin, Argentinische Allee 30. Der Skulpturenpark ist indes dauerhaft zu sehen und wird ständig ergänzt.

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