Als ob die Residenzpflicht noch gilt
Frau kommt vor Gericht, obwohl Rot-Rot die Lage der Flüchtlinge in Brandenburg verbesserte
Obwohl sich Flüchtlinge, die in Brandenburg leben, seit Ende Juli 2010 im Bundesland frei bewegen und auch nach Berlin fahren dürfen, soll sich morgen um 10 Uhr die Asylbewerberin Magdaline E. vor dem Amtsgericht Cottbus verantworten. Ihr wird ein Verstoß gegen die Residenzpflicht vorgeworfen. Die 32-Jährige stammt aus Kamerun und lebt in einem Heim in Forst. Sie wurde im Juli 2009 von der Polizei angezeigt, weil sie den Landkreis Spree-Neiße ohne die erforderliche Erlaubnis der zuständigen Ausländerbehörde verlassen habe.
Nach Angaben des Flüchtlingsrates Brandenburg hatte die Schaffnerin die Frau im Zug von Königs Wusterhausen nach Cottbus angetroffen und wegen eines Missverständnisses bei der Fahrkartenkontrolle die Polizei gerufen. Die Beamten warteten dann in Cottbus auf dem Bahnsteig.
Magdaline E. drohe eine Geldstrafe oder sogar eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr, informierte Kay Wendel vom Flüchtlingsrat. Der Prozess gegen die 32-Jährige zeige, wie »absurd« die Situation sei. »Die Justiz wäre gut beraten, alle laufenden Verfahren sofort einzustellen.« Magdaline E. würde sich freuen, wenn Unterstützer die Verhandlung im Gerichtssaal 2008/2009 in der Vom-Stein-Straße 31 beobachten, erklärte Wendel. Wie viele Verfahren gegenwärtig anhängig sind, vermag er nicht zu sagen. Auch zu einer Schätzung sieht er sich nicht in der Lage. Magdaline E. sei der erste dem Flüchtlingsrat bekannte Fall, wo es nach der Änderung der Residenzpflichtregelung zum Prozess komme. Es sei allerdings davon auszugehen, dass noch andere Verfahren anhängig sind.
Auch das Potsdamer Justizministerium hat keine Zahl parat. Zum konkreten Fall der Magdaline E. könne sich das Justizministerium nicht äußern, da man sich in laufende Verfahren nicht einmische, machte Sprecher Frank Schauka deutlich.
Zweifellos wäre es möglich, dass Verfahren gegen die Kamerunerin einzustellen, bestätigte das Amtsgericht. Der Richter und der Staatsanwalt müssten sich darauf einigen, so die Auskunft. Es sei vorstellbar, dass eine solche Lösung am Freitag während der Verhandlung besprochen wird. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass das Verfahren dann tatsächlich eingestellt werde. Andererseits könne der Prozess auch gemacht werden, weil ein Verlassen des Landkreises ohne ausdrückliche Genehmigung der Ausländerbehörde vor dem 29. Juli 2010 ja noch strafbar gewesen sei.
Fraglich bleibt indes, ob das Strafgesetzbuch nicht einen Freispruch nahelegt. »Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden«, steht in Paragraf 2, Absatz 3. Zweifellos ist die mildeste Bestimmung die Abschaffung der Residenzpflicht für das Land Brandenburg. Das könnte so interpretiert werden, dass eine Bestrafung nicht mehr angebracht wäre.
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