Kalkulierter Eklat

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

In den Bestsellerlisten steht das Buch »Das Ende der Geduld« von Kirsten Heisig, das die Berliner Richterin noch kurz vor ihrer Selbsttötung fertig stellte, seit Wochen ganz weit vorne. Das dürfte weniger am Inhalt des Buches liegen, sondern vielmehr daran, dass schon vor Erscheinen von den beiden Leitmedien Deutschlands, dem »Spiegel« und der »Bild«-Zeitung, wochenlang die Werbetrommel für das Werk gerührt wurde. Genutzt hat dem Markterfolg sicherlich auch der in der Berichterstattung der beiden Blätter gebetsmühlenartig behauptete Tabubruch im Auftrag der ominösen schweigenden Mehrheit in Deutschland, der angeblich mit den Aussagen in Heisigs Buch verbunden sei. Das Volk will eben nachlesen, was es so denkt.

Es braucht keine großen hellseherischen Fähigkeiten, dem Ende August erscheinenden Buch Thilo Sarrazins über die drohende Muslimisierung Deutschlands (»Deutschland schafft sich ab«) einen ähnlichen Erfolg vorherzusagen. Wieder hat ein Verlag die beiden Pole des Boulevard-Journalismus mit dem Recht auf Vorabdruck von Buchauszügen beglückt. Der kalkulierte Eklat soll dabei nicht nur die Verkaufszahlen des Buches nach oben treiben, er soll auch die Annahme bestätigen, hier schreibe jemand eine Wahrheit, die bislang in der Medienlandschaft nicht geäußert werden durfte,weshalb das Buch eine Art Wellenbrecher für eine gesellschaftliche Debatte über Migration und Integration sei. Das Perfide ist, dass andere Medien in der von »Spiegel« und »Bild« aufgezwungenen Debatte gar nicht umhin können, diesen Eindruck zu bestätigen – mit jedem Wort, das über Sarrazins Buch erscheint.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal