Sommertheater an der Weichsel

Wetter, Grabenkämpfe und »Heldenehrung« beschäftigen derzeit Polen

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Politik an der Weichsel plätschert seit Wochen mit Nebenthemen und parteinternen Zwistigkeiten dahin.

Die Morgennachrichten bringen auf allen Kanälen »neueste« Nachrichten von zwei Feldern. Erstens: über die durch fünf verschiedene polnische und russische Gremien geführten Untersuchungen zu den Ursachen des Flugzeugunglücks am 10 April, bei dem Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere Personen ums Leben kamen, wobei entweder der polnischen Regierung oder der russischen Seite oder beiden gleichmäßig die Verantwortung und Schuld dafür angehaftet werden. Zum Zweiten liefern sie Berichte von der »Kruzifix«-Front verbunden mit Forderungen, vor dem Präsidentenpalast nebst Holzkreuz ein Denkmal für den eines »Heldentodes« gestorbenen Lech Kaczynski zu errichten. Von dem Druck auf die Piloten der Unglücksmaschine, bei schlechten Wetter zu landen, ist dagegen nicht zu hören.

Dabei streiten auch die kirchlicher Würdenträger, von denen die einen, z.B. Erzbischof Zycinski aus Kielce, das Kruzifix in die St. Anna Kirche gleich neben dem Präsidentensitz überführen wollen; die anderen dagegen, wie Erzbischof Glodz aus Gdansk, wollen es dort haben, »wo es das Volk fordert«. Dass fast 80 Prozent der Teilnehmer einer Meinungsumfrage sowohl Kreuz als auch Denkmal ablehnen, interessiert überhaupt nicht.

Am Abend kommentieren Politiker und Journalisten vehement die »Lage« und nehmen Stellung zu den Ereignissen, die im Laufe des Tages stattgefunden haben. Die beschlossene Mehrwertsteuererhöhung geht dabei unter. Dagegen war auf der Internetplattform der »Gazeta Wyborcza« zu lesen, dass Polen in diesem Sommer ein »beschissenes Klima« hebe.

Die Buergerplatform (PO) und die Partei von Jaroslaw Kaczynski (PiS) führen indes ihren Ermattungskrieg wie gehabt weiter. Doch in beiden Lagern sind Diversanten am Werk. In der PO droht der Abgeordnete Janusz Palikot dem Partei- und Regierungschef Donald Tusk, er werde eine eigene »Bewegung für Palikot« gründen, möglicherweise auch eine neue Partei, falls die PO weiterhin die Themen »weltlicher Staat«, Gleichberechtigung, In-vitro-Befruchtung und vieles mehr zu meiden gedenkt. Tatsächlich bat die Familienministerin Elzbieta Radziszewska die Bischöfe um deren Meinung zum Gesetzentwurf zu diesen Themen.

Auch in der PiS wird gegen den Parteiführer Jaroslaw Kaczynski, dessen Verschwindung aus der Politik sich fast 60 Prozent der Teilnehmer einer Befragung wünschen, gemeutert. Der Euroabgeordnete Marek Migalski, ein Politologe der Uni Katowice, bisher das tapfere Sprachrohr unter den Jaroslaw-Kaczynski-Enthusiasten, schrieb in einem Offenen Brief, der Parteiführer, wie er sich jetzt darstelle, sei ein Unglück. Mit ihm werde die PiS alle anstehenden Wahlen verlieren und schließlich untergehen.

Waldemar Pawlak, Chef der Bauernpartei PSL, Vizepremier und Wirtschaftsminister im Tusk-Kabinett, beklagte in der »Newsweek«, der Premier habe ihm mit der Auflösung der Koalition gedroht falls die Bauern in Finanzfragen nicht mitmachen.

Die mit einer künftigen Koalition mit der PO liebäugelnde Linkspartei SLD, deren Ruf zu einer Kundgebung zur Verteidigung der Verfassung neulich ganze 250 Menschen folgten, ist dagegen zufrieden: das Verfassungstribunal will endlich die Frage der Legalität der »Rückgabe-Kommission«, die der Kirche Immobilien im Milliardenwert überträgt, angehen. »Ein Sakrileg« – dröhnt es nun von der Kirchenseite.

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