Entschädigung ohne Ende

Staatlicher Transfer an die Kirchen rührt aus dubiosem 200-jährigen Erbe

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 3 Min.
Als die Bundespolitik Urlaub machte, ging der FDP-Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag, Wolfgang Kubicki, mit dem Vorschlag in die Öffentlichkeit, der Staat möge den Kirchen doch seine Zuschüsse kürzen. Andere Landespolitiker schlossen sich an. Die Medien griffen die Idee dankbar auf. Mittlerweile erinnert sich niemand mehr daran.

Die Öffentlichkeit scheint jedes Mal auf neue überrascht, dass die Bundesländer (außer die Stadtstaaten Bremen und Hamburg) rund 460 Millionen Euro jährlich an die beiden großen Noch-Volkskirchen überweisen, ohne dafür irgendwelche Gegenleistungen oder Abrechnungen zu erwarten. Allein schon, dass die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechtes das Privileg genießen, eigene Kirchensteuern erheben zu dürfen, wird immer wieder kritisiert.

Doch hinter diesem Geldtransfer steckt ein uralter, wenn auch weithin unbekannter staatskirchenrechtlicher Hut. Es fing mit Napoleon an. Am 25. Februar 1803 kamen die deutschen Reichsstände zusammen, um im sogenannten Reichsdeputationshauptschluss die Entschädigung für die an Frankreich verlorenen linksrheinischen Gebiete zu beschließen. Im Ergebnis wurden große kirchliche Besitzungen säkularisiert.

Kurie wurde Gewinner der eigenen Enteignung

Es war die größte deutsche Gebietsumverteilung bis 1945. Das Territorium und die landesherrliche Gewalt von 112 rechtsrheinischen Reichsständen wurde durch die Deputation weltlichen Fürstentümern übertragen. Insgesamt waren ein weltliches und zwei geistliche Kurfürstentümer, 19 Reichsbistümer, 44 Reichsabteien und 45 von 51 Reichsstädten betroffen. Ohne Widerstand der Bevölkerung und der Kurie wechselten allein 10 000 Quadratkilometer bislang geistlicher Herrschaftsgebiete mit 3,2 Millionen Einwohnern, einem Siebtel der reichsdeutschen Bevölkerung, ihren Herrscher.

Großer Gewinner beim Reichsdeputationshauptschluss war Brandenburg-Preußen. Das Land erhielt zum Ausgleich für die linksrheinischen Gebiete, die es an Napoleon verloren hatte, fünf mal so viele rechtsrheinische Flächen. Mit einem Schlag wuchs die Bevölkerung Preußens um eine halbe Million Menschen an.

Aber schon an dieser kirchenhistorischen Aufzählung gibt es auch Zweifel. Der Journalist Carsten Frerk, der wie kaum ein anderer seit Jahren über die deutschen Kirchenfinanzen recherchiert, bezweifelt, dass jedes säkularisierte Gut wirklich auch Eigentum der Kurie war. So seien etwa im Bistum Bamberg viele Besitztümer des Bischofs lediglich königliche Lehen gewesen, also kein Eigentum, was somit auch nicht säkularisiert werden konnte.

Für die vor über 200 Jahren verloren gegangenen Bistümer und Ländereien erhalten die christlichen Großkirchen nach dem Beschluss von 1803 bis heute kontinuierlich Ausgleichszahlungen, so genannte Dotationen. Zum Teil gehen diese Zahlungen auch noch auf die Reformation zurück, als die Landesfürsten die Besoldung ihrer neuen evangelischen Pfarrerschaft übernahmen. Selbst im Dritten Reich und in der DDR wurden diese Leistungen nie eingestellt.

»Es ist einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte, dass eine Entschädigung nie ein Ende hat. Das geht hin bis zu Kuriositäten, dass Kirchen, weil ihnen damals ein Wald weggenommen worden ist, bis heute Holz erhalten, was zum Teil mit Geld abgeglichen wird«, bemängelt etwa der ehemalige Leiter der Humanistischen Akademie in Berlin, Horst Groschopp. Der bekennende Atheist Groschopp möchte mit seinen Steuern die Kirchen nicht weiter mitfinanzieren. Er schlägt dagegen eine allgemeine Kultur- und Sozialsteuer vor, die allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleichberechtigt zugute kommen könnte.

Ansprüche längst erloschen?

Dabei ordnet schon die Weimarer Reichsverfassung von 1919 (Art. 138 Abs. 1 WRV) die endgültige Ablösung dieser Staatsleistungen an die Kirchen an. Aber keine deutsche Regierung hat sich bisher daran gemacht, diese endgültige Ablösesumme zu ermitteln und die beiden Kirchen endgültig auszuzahlen. Doch sei noch nicht einmal die Zahlung einer endgültigen Ablösesumme rechtens, bemängelt Carsten Frerk, da im Beschluss von 1803 lediglich von einer lebenslangen Apanage für die betroffenen Bischöfe und Domkapitel die Rede gewesen sei. Nach dem Tod der damaligen Kirchenfürsten bräuchte der Staat daher keinerlei Dotationen mehr zu leisten. Das sehen die heutigen Kirchenoberen natürlich anders. Auch die kirchenpolitischen Sprecher der maßgeblichen Bundestagsfraktionen weisen den Vorschlag zurück, man dürfe der gesellschaftlich wichtigen Institution Kirche nicht die finanzielle Grundlage entziehen. Vielleicht wird ja beim nächsten Sommerloch weiter diskutiert.

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