Oper Dynamo West

Kleist in der Versuchsanstalt

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie haben Theater im Bahnhof Zoo gemacht und im Bikini-Haus, im Europacenter und im S-Bahnbogen. Mit ihrer neuesten Inszenierung ist den Machern der Oper Dynamo West ein selbst für ihre Verhältnisse besonderer Coup gelungen: Mit der Musiktheater-Performance »VWS – Der Findling« bringt die Truppe Kleist in die »Rosa Röhre«, die ehemalige Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffbau. Ein äußerst gelungenes Experiment!

Wie bei den anderen Projekten der Oper Dynamo West, die mit ihren Produktionen seit 2006 markante Orte des alten Westberlin aufsucht, spielt auch hier das Gebäude die Hauptrolle. Der Andrang war groß und da wegen der Sicherheitsbestimmungen die Anzahl der Zuschauer pro Vorstellung auf 50 Personen begrenzt ist, waren sämtliche fünf Termine schnell ausgebucht.

Klar, es lockt die Vorstellung, den blauen Kasten mit der auffälligen rosa Röhre auf der Schleuseninsel im Tiergarten einmal erkunden zu können. Lange Zeit eine der führenden Wasserbau-Versuchsanstalten Europas, übernahm die TU Berlin 2003 die Anlage. Zwei Jahre brauchte das Dynamo West-Team, bis alle Genehmigungen erteilt waren. Nun hofft die agile Kulturtruppe, das Stück im Kleist-Jahr 2011 wiederholen zu können.

Zu hoffen wäre es, setzt »VWS – Der Findling« die labyrinthische Forschungsanlage mit ihren langen Gängen, unterirdischen Wasserrinnen und physikalischen Apparaturen geschickt in Beziehung zu Kleists Novelle. Die schildert anhand eines Familiendramas den Teufelskreis unendlicher Rache: keine Erlösung, nirgends. Unter Leitung von Janina Janke (Konzept und Regie) fließen Klanginstallation, Licht, Schauspiel und wunderbar sphärische bis experimentelle Musik (musikalische Leitung: Maurice de Martin) mit der Architektur wunderbar zusammen.

Über die blaue Brücke gelangt der Gast auf die Anlage. Das Publikum sammelt sich in einem idyllischen Mini-Gärtchen. Von dort geht es über Stahltreppen und lange Flure, vorbei an Schränken voller Schiffsschrauben in den Keller. Das Stück spielt in der 250 Meter langen Halle mit der Flach- und der Tiefwasserrinne.

Es hallt, es tropft, es prasselt: Familienoberhaupt Piachi ist in dieser Performance selbst zum Gebäude geworden, das ächzt und stöhnt, funkt und stört. Dann Lichtspiele auf dem Wasser, ein zarter Sopran, darüber legt sich eine knarzige Bratsche; drei Damen mit schwarzen Haaren erzählen ihre Version des Dramas, balancieren an der Rinne, tauchen, gleiten schwerelos durchs Wasser. Eine poetische Szenerie, die sich Zeit lässt, ohne zu langweilen.

Sechs Personen dürfen mit dem Fahrstuhl auf Deck 4 des riesigen Umlauftanks fahren. Dort wacht Xavieras Ururenkelin über den schicksalhaften Endlos-Kreislauf von Wiederkehr und Rache, symbolisiert durch die Druckkammer mit ihren piepsenden Apparaturen. Einfach nur schön ist der Blick aufs nächtliche Zentrum West. Wem Kleists Novelle nicht geläufig ist, verliert irgendwann den Faden zwischen all den Nicolos und Piachis und Elvires und Constanzas. Doch ihren Zauber bezieht die Produktion ohnehin aus Klang und Licht, Performance und Text zwischen Wasserrinnen und Tank.

Nächstes Projekt von 1.-10. 10. im Amerikahaus, www.operdynamowest.org

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