»Es gibt noch keinen Täter«

Der Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich zum Oktoberfest-Attentat vor 30 Jahren

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Rechtsanwalt Werner Dietrich setzte sich für die Wiederaufnahme der Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat ein. Mit ihm sprach Rudolf Stumberger.
Rechtsanwalt Werner Dietrich setzte sich für die Wiederaufnahme der Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat ein. Mit ihm sprach Rudolf Stumberger.

ND: Am 26. September 1980 tötete eine Bombe auf dem Oktoberfest 13 Menschen und verletzte mehr als 200. Der rechtslastige Student Gundolf Köhler hatte die Bombe gelegt und kam dabei um, für die Polizei war er ein Einzeltäter. Sie haben sich zweimal, 1983 und 2008, für die Wiederaufnahme des Verfahrens engagiert. Warum?
Dietrich: Im Oktober 1982 haben sich einige Geschädigte bei mir gemeldet, als sie gehört hatten, dass die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat eingestellt werden sollten. Gundolf Köhler war diesen Ermittlungen zufolge ein Einzeltäter. Damit haben sich die Geschädigten nicht zufriedengegeben und mich beauftragt, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Vor allem sollte weiter nach Hintermännern aus dem rechtsradikalen Bereich ermittelt werden.

Welche Mandanten vertreten Sie?
Da ist eine Familie, die bei dem Attentat schwer verletzt wurde und zwei Kinder verloren hat. Eine andere Mandantin lag ein Jahr in der Klinik und wurde 16 Mal operiert, eine weitere Mandantin war ebenfalls schwer verletzt worden. Für diese Menschen ist der Fall wie eine offene Wunde und sie halten ihn für nicht geklärt.

In was für eine Richtung sollten die Behörden weiter ermitteln?
In Richtung des Umfeldes. So gibt es Hinweise, dass das Attentat eine Woche zuvor »geprobt« worden sein könnte, eine Zeugin hatte das Auto von Köhler mit mehreren Insassen gesehen. Außerdem soll sich dieser unmittelbar vor dem Attentat mit zwei Männern unterhalten haben.

Warum wurde der Antrag auf Wiederaufnahme 1983 abgelehnt?
Es hieß, es bleibt bei dem bisherigen Ermittlungsergebnis, dass Köhler ein Einzeltäter gewesen sei.

Was hatte sich 2008 gegenüber 1983 an Ihrem Erkenntnisstand geändert?
Mittlerweile sind ja etliche Kriminalfälle durch neue Methoden wie DNA-Analyse auch noch nach vielen Jahren gelöst worden. Mit diesem Ansatz habe ich mich erneut an die Bundesanwaltschaft gewandt, man solle im Licht dieser neuen Methoden den Fall des Oktoberfestattentats neu untersuchen, zum Beispiel die 500 Asservate, also Gegenstände, die in Zusammenhang mit dem Attentat sichergestellt wurden. Bombensplitter oder Leichenteile etwa.

Wie ist der Stand des von Ihnen angestrebten Wiederaufnahmeverfahrens?
Nach ein paar Wochen teilte mir die Generalbundesanwaltschaft mit, diese Asservate seien vernichtet worden. Und zwar 1997, also zu einem Zeitpunkt, als in den Landeskriminalämtern diese neuen technischen Möglichkeiten eingeführt wurden. Angeblich aus Platzgründen. Das ist ein Skandal. Denn das Verfahren ist weder rechtskräftig abgeschlossen noch verjährt und es gibt bisher auch noch keinen Täter. Denn das Ermittlungsverfahren war nicht gegen Gundolf Köhler gerichtet, der war ja tot. Sondern gegen die Wehrsportgruppe von Karl-Heinz Hoffmann, der entlastet wurde, und gegen Unbekannt. In letzterer Hinsicht wäre es jederzeit möglich gewesen, das Verfahren formlos wieder aufzunehmen. Der Antrag wurde jetzt aber abgelehnt.

Gab es aus nach der Wende zugänglichen DDR-Quellen neue Erkenntnisse über das Attentat?
Bei der Birthler-Behörde gibt es über 10 000 Seiten mit Erkenntnissen der Stasi zum Oktoberfest-Attentat. Detailliert, präzise und genau hat sie mit eigenen Leuten und V-Leuten in der westdeutschen Polizei einen Bericht erstellt. Daraus geht hervor, dass sich die Stasi in den siebziger Jahren aus rechtsradikalen Kreisen eine Bombe besorgt hat, die fast baugleich zur Attentatsbombe war. Die Stasi hatte damals diese rechte Szene wegen Anschlägen an der innerdeutschen Grenze beobachtet. Dann geht weiter aus dem Bericht hervor, dass die Landesämter für Verfassungsschutz bereits 22 Stunden vor dem Attentat offensichtlich davon ausgingen, dass in München etwas passieren würde. Jedenfalls wurden erhebliche Kräfte in einer Aktion »Wandervogel« in München zusammengezogen. Das ist seltsam angesichts der offiziellen Version von der spontanen Tat eines Einzeltäters.

Was spricht noch immer gegen die Einzeltäter-Hypothese?
Es gibt keine Anhaltspunkte, dass Köhler Selbstmord begehen wollte. Und terroristische Attentate werden in der Regel nicht von einem Einzeltäter begangen. Am Anfang ging man von einer Gruppentat aus, dann blieb nur noch der Einzeltäter übrig.

Spielen in Ihren Wiederaufnahmeanträgen die angebliche Existenz einer »Stay-Behind«-Truppe, also einer geheimen »Nato-Armee«, und Verbindungen zu den Bombenanschlägen in Bologna am 2. August 1980 eine Rolle?
Die Stasi-Unterlagen thematisieren auch detailliert die Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit Rechten und mit Personen, die Waffen- und Sprengstofflager anlegten. Die sollten als Guerillatruppen hinter den Linien kämpfen, falls die Armeen des Warschauer Paktes die Bundesrepublik überrannt hätten. Bisher gibt es keine direkte Linie von diesen Sprengstofflagern zum Oktoberfestattentat, aber das muss man weiter untersuchen. Ebenso die Verbindung zum Bombenanschlag in Bologna, wo der Geheimdienst seine Finger im Spiel hatte. Die Generalbundesanwaltschaft sollte das dazu in Mailand liegende Material auswerten. Neu und brisant ist auch die jetzt aufgetauchte Frage, ob der Hauptzeuge des Attentats, der inzwischen verstorbene Franz Lauterjung, ein bekennender Rechtsextremist, ein V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen ist.

Ist Ihnen bekannt, ob der Attentäter Gundolf Köhler in der rechtsradikalen Szene heute eine symbolische Rolle spielt?
Nein, davon ist mir nichts bekannt. Es gibt aber natürlich Fraktionen bei den Rechten, die Gewalt befürworten, auch gegen die allgemeine Bevölkerung, um zu erreichen, dass der Ruf nach Rechtsaußen wieder stärker wird.

Welche Folgen hat das Attentat noch heute für die Überlebenden?
Meine Mandanten leiden psychisch, und das verdichtet sich jedes Jahr, wenn das Oktoberfest kommt. Eine Mandantin verlässt in dieser Zeit die Stadt. Für sie ist die Wunde nicht verheilt. Meine Mandanten wollen immer noch wissen, wem sie es zu verdanken haben, dass ihr Leben zerstört oder beeinträchtigt wurde. Sie glauben nicht an den Einzeltäter und halten den Fall nicht für zu Ende ermittelt.

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