Lobbyismus pur

  • Nina Katzemich
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Autorin arbeitet für die Nichtregierungsorganisation LobbyControl (www. lobbycontrol.de).
Die Autorin arbeitet für die Nichtregierungsorganisation LobbyControl (www. lobbycontrol.de).

Als erste hatte Benita Ferrero-Waldner einen neuen Job in der Privatwirtschaft. Dass die ehemalige EU-Kommissarin für Außenbeziehungen in den Aufsichtsrat des Versicherungsriesen Münchner Rück wechseln würde, wurde bekannt, noch ehe sie überhaupt richtig aus der Kommission ausgeschieden war. Danach kamen die Nachrichten über gerade verabschiedete Kommissare, die die Seiten wechselten, in kurzen Abständen: Der ehemalige Binnenmarktkommissar Charly McCreevy ging zu Ryanair, Fischereikommissar Joe Borg wechselte zur Brüsseler Lobbyagentur Fipra... Insgesamt sechs von 13 ausgeschiedenen Kommissarinnen und Kommissaren haben sechs Monate nach ihrem Abschied Beratungstätigkeiten in der Privatwirtschaft aufgenommen.

Günter Verheugen aber setzte dem ganzen das Sahnehäubchen auf. Neben den vier Beraterjobs, die er in den letzten sechs Monaten ergriffen hat – bei der Royal Bank of Scotland (RBS), der globalen Lobbyagentur Fleishmann-Hillard, dem türkischen Rohstoffbörsenverband TOBB sowie dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken – hat er bereits im April mit seiner ehemaligen Kabinettschefin eine Lobbyagentur in Potsdam gegründet. Kommissarinnen und Kommissare müssen der Kommission nach ihrem Ausscheiden ein Jahr lang neue Tätigkeiten melden – damit sie entsprechend dem Verhaltenskodex für Kommissare auf mögliche Interessenkonflikte überprüft werden können. Bisher hat die EU-Kommission allerdings noch nirgends einen Interessenkonflikt entdecken können. Dass sie mit dieser generösen Haltung ihren Ehemaligen gegenüber ihre eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, scheint ihr nicht klar zu sein. Indem sie zulässt, dass ehemalige Kommissarinnen und Kommissare aus ihren während der Amtszeit erworbenen Kontakten und internen Kenntnissen kräftig Kapital schlagen, ermöglicht sie es finanzstarken Lobbygruppen, sich durch das Anwerben ehemaliger Mitglieder der EU-Kommission politische Vorteile zu erkaufen.

Das Verhalten Verheugens sollte der EU-Kommission nun endlich zu denken geben: Er nutzt ihre Nachlässigkeit im Umgang mit den – sowieso zu weichen – Regeln schamlos aus. Erst hat er die »European Experience Company« vier Monate gar nicht gemeldet. Nun legt er in den Medien mit haarspalterischer Genauigkeit dar, warum die Firma, deren Mitbegründer und Geschäftsführer er ist, kein Lobbying betreibt. Nach Ansicht der Organisation ALTER-EU fällt es dagegen klar unter die EU-Definition von Lobbying, wenn das Unternehmen auf seiner Webseite »die richtige Strategie für Ihren Erfolg im Umgang mit europäischen Institutionen« anbietet.

Nun durften wir aus der Presse erfahren, dass 17 ehemalige Amtsträger zusätzlich zu ihren Jobs noch Übergangsgelder von der Kommission beziehen – darunter Charly McCreevy und Joe Borg. Eigentlich könnte dieses Übergangsgeld gerade zur Finanzierung einer »Abkühlphase« nach der Tätigkeit in der Kommission dienen. Stattdessen beziehen Kommissare es nun neben ihrer Beratungstätigkeit. Politik absurd.

Eine erste und dringende Maßnahme wäre, endlich eine echte »Abkühlphase« von drei Jahren für alle Kommissarinnen und Kommissare einzuführen, die in Beratungstätigkeiten in der Privatwirtschaft wechseln wollen. Und klarzustellen, dass kein Kommissar und keine Kommissarin sich in irgendeiner Weise nach seinem Amt in der Lobbyberatung betätigen darf. Dafür können Sie derzeit online auf unserer Homepage unterschreiben.

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