Klebeeffekt nicht haltbar

IG Metall schlägt Alarm – es geht auch ohne Leiharbeit

  • Hans-Gerd Öfinger, Frankfurt
  • Lesedauer: 2 Min.
Als »außerordentlich alarmierend« bezeichnet die IG Metall die jüngste Zunahme der Leiharbeit in deutschen Betrieben. Am Dienstag stellte der Bundesvorstand in Frankfurt am Main eine neue Studie zum Thema vor.

Zahlen der Bundesagentur für Arbeit belegen, dass die Betriebe angesichts der aktuellen Wirtschaftsbelebung für mehr als jede dritte neue Stelle einen Leiharbeiter suchen. Entgegen aller Bekundungen diene Leiharbeit nicht zum Abfedern von Auftragsspitzen, sondern zunehmend als »strategisches Instrument zur Etablierung einer neuen Billiglohnlinie«, bemängelte IG-Metall-Vizechef Detlef Wetzel am Montag in Frankfurt am Main.

Die von seiner Gewerkschaft bereits vor zwei Jahren kritisierte Ersetzung von Stammarbeitsplätzen durch Leiharbeiter halte unvermindert an, so Wetzel. So habe das Ausmaß der Leiharbeit nach einem krisenbedingten Einbruch in den letzten beiden Jahren mit rund 826 000 Beschäftigten wieder das Vorkrisen-Niveau vom Sommer 2008 erreicht. Mittelfristig rechneten die deutschen Zeitarbeitsunternehmen gar mit einem Anwachsen auf 2,5 Millionen Beschäftigte in ihrer Branche. Damit erwiesen sich Leiharbeiter als doppelte Verlierer. Im Aufschwung würden sie mit Hungerlöhnen abgespeist und in der Krise arbeitslos.

Die IG Metall hatte in einer Umfrage Mitte September bei mehr als 5100 Betriebsratsvorsitzenden aus der Metall- und Elektroindustrie alarmierende Tatsachen zu Tage gefördert. So decken nur 15 Prozent aller Betriebe, die neu einstellen, ihren Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften durch unbefristete Arbeitsverhältnisse ab. Hingegen behelfen sich 43 Prozent mit Leiharbeit und 42 Prozent mit befristeten Einstellungen. »Die Arbeitgeber setzen auf prekäre Beschäftigung«, beklagt Wetzel.

Immerhin kämen noch 34 Prozent der befragten Betriebe ohne Leiharbeit aus. Diese zeige, dass sich auch mit einer verantwortungsvollen Personalpolitik erfolgreich wirtschaften lasse, so Wetzel: »Es geht auch ohne Leiharbeit.« Allerdings nehme Leiharbeit als Instrument zur Verdrängung von Stammarbeitsplätzen insgesamt deutlich zu. In einem Viertel der Betriebe verzeichne man, gemessen an der Gesamtbelegschaft, bereits eine Leiharbeitsquote von 10 bis 50 Prozent. Dieser Trend gefährde die Existenzgrundlage von hunderttausenden tariflich abgesicherter Arbeitnehmer und trage zur Spaltung von Belegschaften und Gesellschaft bei. Damit werde der »soziale Konsens aufgekündigt«. Leiharbeit betreffe zunehmend auch Hochqualifizierte etwa in industriellen Entwicklungszentren. Fast jeder achte Vollzeit-Leiharbeiter sei Hartz-IV-Aufstocker.

Der Gewerkschafter kritisierte, dass Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in einem neuen Gesetzentwurf einem »ungebremsten Abbau von Stammarbeitsplätzen« und damit der Ausweitung des Niedriglohnsektors Vorschub leiste. Die gewerkschaftliche Forderung nach gleicher Bezahlung von Leiharbeitnehmern finde sich in diesem Entwurf nicht wieder. So mache das Vorbild konzerninterner Leiharbeit wie beim Drogeriekonzern Schlecker weiter Schule. Leiharbeit habe sich »von einem begrenzten Flexibilisierungsinstrument, zu dem wir einmal gestanden haben, zu einem massiven Dumpingwerkzeug entwickelt«.

Die Behauptung, Leiharbeit fördere den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt und bewirke einen »Klebeeffekt«, habe sich weitgehend als Zweckpropaganda erweisen: »Diese von der Politik wohlgefällig wiederholte Propaganda ist wissenschaftlich in sich zusammengebrochen«, sagte der Gewerkschafter. Kommentar Seite 4

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