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Gefragt ist, was sich überall gut verkauft

Buenos Aires hat 2285 Verlage, aber viele Autoren publizieren in Spanien

  • Silke Kleemann
  • Lesedauer: 4 Min.
Buenos Aires: Hier gibt es ds dichteste Buchhandlungsnetz in Lateinamerika.
Buenos Aires: Hier gibt es ds dichteste Buchhandlungsnetz in Lateinamerika.

Es gibt viele gute Gründe, nach Argentinien zu reisen: wunderbare, vielfältige Natur, die Faszination Tango, seit der Finanzkrise 2001 ein für Europäer günstiger Wechselkurs, das angeblich beste Rindfleisch der Welt. Nicht ganz so bekannt ist, dass speziell Buenos Aires auch ein Paradies für Bücher-Liebhaber ist (sofern sie des Spanischen mächtig sind). Die Buchhandlungen reihen sich im Herzen der Stadt an der Avenida de Mayo und der Corrientes dicht an dicht. Gebrauchte Bücher, rare Sammelstücke, Importware, psychologische Fachliteratur und die aktuellen Bestseller – alles ist zu haben.

Einige der Buchhandlungen, wie die des Verlags Losada oder die Librería Gandhi, sind auch beliebte Treffpunkte. Hier finden kulturelle Veranstaltungen statt oder man plaudert bei einem Kaffee über Maradona und die Welt. Auch in den einzelnen Stadtteilen gibt es solche literarischen Begegnungsstätten, im In-Viertel Palermo sogar gleich mehrere. Zum Beispiel Eterna Cadencia, ebenfalls Verlag, Buchhandlung und Veranstaltungsort in einem: Hier gibt es vor treuen Leserkreisen wöchentliche Begegnungen mit Angehörigen der schreibenden Zunft.

2009 sind in dem Land mit 39,4 Millionen Einwohnern und einer Alphabetisierungsrate von 97,6 Prozent 20 308 neue Bücher mit einer Auflage von über 75 000 000 erschienen. 46 Prozent der Bevölkerung geben an, pro Jahr immerhin vier Bücher zu lesen. Die meistgelesenen Titel unterscheiden sich dabei nicht so sehr von dem, was bei uns auf den Bestsellerlisten steht: Aktuell ist Stieg Larsson vorn, Stephenie Meyers Romane brachten es im letzten Jahr auf 350 000 Exemplare und auch Isabel Allendes »Die Insel unter dem Meer« mit 150 000 ist keine wirkliche Überraschung.

Der meistverkaufte argentinische Autor ist Marcos Aguinis. Sein kritisches Buch über die Präsidenten-Familie Kirchner, »Pobre patria mia!« (Mein armes Vaterland), ging 130 000 Mal über den Ladentisch. Die diesjährige LiBeratur-Preisträgerin Claudia Piñeiro verkaufte von ihren Romanen »Die Donnerstagswitwen« und »Elena weiß Bescheid« jeweils 50 000 Exemplare. 75,8 Prozent der veröffentlichten Bücher sind von argentinischen Autoren – doch unter den 50 meistverkauften Titeln ist nur ein Buch (des Uruguayers Eduardo Galeano!), das in Argentinien verlegt und hergestellt wurde, der Rest kommt aus den großen multinationalen Verlagshäusern. Die bekannteren Autoren publizieren häufig auch bei spanischen Verlagen – nur so ist der Vertrieb in der ganzen spanischsprachigen Welt gesichert. Was in Argentinien veröffentlicht wird, gelangt nur selten in die Buchhandlungen in Kolumbien oder Mexiko und umgekehrt.

Buenos Aires ist – nach São Paulo – mit 2285 registrierten Verlagen die zweitgrößte Verlagsstadt in Lateinamerika. Nur 3 Prozent der Verlage produzieren aber mehr als 50 Titel pro Jahr, 83 Prozent dagegen weniger als zehn. Neben Geistes- und Sozialwissenschaften sowie »Lebenshilfe« – Bereichen mit hohen Publikationszahlen – lassen sich rund 10 000 Titel im weiteren Sinne der Belletristik einschließlich Kinder- und Jugendliteratur zurechnen (in Deutschland etwa das Doppelte). Auffallend und außergewöhnlich sind die 1200 Lyrik-Bände pro Jahr.

Paradoxerweise hat die argentinische Verlagswelt speziell seit der großen Wirtschaftskrise neue Belebung erfahren. Aus der Not entstanden viele kreative Projekte in Eigeninitiative, und seit 2002 sind über 60 neue (kleine) Verlage entstanden. Deren Titel erreichen natürlich kein massives Publikum, sind aber ein sehr flexibles, aktuelles Barometer für die große Schaffenskraft der argentinischen Autoren. Und sie sind erschwinglich; in Spanien verlegte Bücher waren nach der Peso-Abwertung enorm teuer, was einige Autoren bewog, wieder bei argentinischen Verlagen zu veröffentlichen.

Mit dem Ehrengastauftritt sehen wir uns in diesem Jahr in der privilegierten Situation, selbst viele interessante Werke, die in Argentinien noch kaum bekannt sind, schon auf Deutsch lesen zu können. Gleich nach der Ankündigung vor über zwei Jahren ging der Run auf die argentinischen Autoren los. Es bestanden schon zuvor gute Kontakte von Verlagen, Scouts und Agenten, das massive Interesse zur Messe – und die mit dem SUR-Programm eingeführte Übersetzungsförderung des argentinischen Staates – öffnete aber noch mehr Büchern den Weg, auch jungen Autoren und Genres, die bislang noch nicht vertreten waren.

Den Leser erwartet eine bunte Mischung von Neuerscheinungen. Hier seien nur zwei Anthologien hervorgehoben – »Asado Verbal« bei Wagenbach und »Die Nacht des Kometen« bei edition 8 –, die einen breiteren Einblick in die argentinische Literatur gewähren.

Silke Kleemann, Köln, ist Übersetzerin aus dem Spanischen (jüngst »Ein Chinese auf dem Fahrrad«), Scout, Lektorin und Autorin.

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