Wann kommt der NATO-Beitritt?

Scheinheilige Debatte um Wehrpflicht in Österreich

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenige Tage vor der Wiener Landtagswahl am kommenden Sonntag hat Bürgermeister Michael Häupl von der SPÖ einen riskanten politischen Schwenk vollzogen: Er sei, ließ er den Medien ausrichten, für eine Volksbefragung über die Abschaffung der Wehrpflicht und würde selbst für deren Ende plädieren.

Häupls Aussage überraschte auch seine Parteikollegen, allen voran Verteidigungsminister Norbert Darabos, der noch vor einer Woche für die Beibehaltung des allgemeinen Wehrdienstes eingetreten war. Die Kehrtwende des Wiener Oberbürgermeisters ist einer Kampagne des stärksten Boulevardblatts, der »Kronenzeitung«, geschuldet, woraus der Sozialdemokrat auch kein Hehl machte. Die »Krone« war in den vergangenen Wochen gegen die »zwangsweise Einberufung« junger Männer Sturm gelaufen und argumentierte unter anderem auch mit der bevorstehenden Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland.

Michael Häupl ist der erste hochrangige Sozialdemokrat, der das Volksheer offen in Frage stellt. Vor zehn Jahren war es noch die rechts-rechte Regierung Wolfgang Schüssels, von Jörg Haider als Koalitionspartner gehalten, die sich gegen die allgemeine Wehrpflicht in Stellung brachte und gleich auch »ehrlicherweise« einen Beitritt Österreichs zur NATO anstrebte. Damals kam ein klares Nein aus der SPÖ, sowohl zum Berufsheer wie auch zum NATO-Beitritt.

Mit seiner Kehrtwende verabschiedet sich der Wiener Bürgermeister von einer ideologischen Konstante der österreichischen Sozialdemokratie, die auf bitteren historischen Erfahrungen mit einem Berufsheer beruht. In den Bürgerkriegswochen des Februar 1934 war es nämlich das Berufsheer im austrofaschistischen Ständestaat gewesen, das sozialdemokratische Bastionen in Wien, Linz und der Steiermark in Schutt und Asche gelegt und die Führer der Arbeiterbewegung in rasch errichtete Konzentrationslager gesperrt hatte. Nach dem Krieg bildete die allgemeine Wehrpflicht eine der wesentlichen Grundlagen für die im Jahre 1955 ausgerufene Neutralität. All dies wird nun – vordergründig aus wahltaktischen Motiven – in Frage gestellt.

Bei den Grünen rennt Häupl mit seinem Schwenk offene Türen ein, die ÖVP reagiert verwundert, auch die FPÖ hat noch zu keiner Antwort gefunden. Innerparteilich sieht es nach einer Zerreißprobe aus, die SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann verständlicherweise vermeiden will, weshalb ein Diskussionsbeitrag von ihm bislang fehlt.

Worum es in der Debatte wirklich geht, wird indes tunlichst verschwiegen. Keiner der bisherigen Wehrdienstgegner hat sich offen für eine Abschaffung des Bundesheeres ausgesprochen. Eine solche ist nicht geplant. Bliebe die Einführung eines Berufsheeres als einzige Alternative. Doch darüber verlieren weder Häupl noch die Grünen große Worte. Denn ein solches ist allen Berechnungen nach nicht nur mindestens 50 Prozent teurer als das derzeitige Bundesheer, sondern kann auch als eine mögliche Vorleistung für Österreichs Aufnahme in die NATO verstanden werden. Letztere wird seit Jahren von ÖVP und FPÖ gefordert, wobei sich die SPÖ – nicht zuletzt mit dem Hinweis auf die allgemeine Wehrpflicht – dagegen gestemmt hatte.

Diskutiert wird hingegen darüber, wie im Falle eines Endes der Wehrpflicht karitative Organisationen wie das Rote Kreuz oder die Caritas finanziell über die Runden kommen könnten. Bisher lebten diese Sozialdienste von den so genannten Zivildienern, die als Verweigerer der Ausbildung an Waffen einen Ersatzdienst leisten mussten. Fällt die Wehrpflicht, fällt mit ihr auch der Wehrersatzdienst, nicht zu reden von den zahlreichen Einsätzen des Bundesheeres in Katastrophenfällen, die von einem Berufsheer freilich auch nicht mehr geleistet würden.

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