Sarkozy hofft auf Resignation

Frankreich: Senat soll Gesetz über Rentenreform endgültig verabschieden

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem neuerlichen landesweiten Streik- und Aktionstag am Dienstag sind alle Blicke in Frankreich auf den Senat, die zweite Kammer des Parlaments, gerichtet. Er soll noch in dieser Woche das Gesetz über die Rentenreform endgültig verabschieden.

Bis zuletzt haben die Parlamentarier der linken Opposition versucht, in der Debatte den ungerechten Charakter der Rentenreform nachzuweisen und durch Abänderungsanträge zumindest »Schadensbegrenzung« zu betreiben. Doch ihre eigentlichen Forderungen, wie auch die der Gewerkschaften, gehen darüber hinaus. Ihrer Überzeugung nach muss die Reform komplett zurückgezogen und der ganze Prozess noch einmal von Null an neu aufgenommen werden – doch diesmal mit echten Konsultationen der Opposition und Verhandlungen mit den Gewerkschaften. Nur auf diese Weise könne ein derart wichtiges Vorhaben von der Masse der werktätigen Franzosen mitgetragen werden und Bestand haben.

Im Herbst 1995 hatte es schon einmal wochenlange Protestaktionen und Streiks gegen eine vom damaligen Premier Alain Juppé eingeleitete Reform des Sozialversicherungs- und Rentensystems gegeben, die schließlich ersatzlos zurückgezogen werden musste.

Das ist diesmal von Präsident Nicolas Sarkozy nicht zu erwarten. Er will seine Reform um jeden Preis durchdrücken. Dabei schreckt er auch nicht vor dem Einsatz von Polizeigewalt gegen Streikende zurück. So wurden in den vergangenen Tagen bereits mehrfach Blockaden von Treibstofflagern durch die Polizei aufgelöst und streikende Mitarbeiter dieser Depots sowie Tankwagenfahrer durch die jeweiligen Präfekten im »übergeordneten öffentlichen Interesse« dienstverpflichtet.

Doch die Gewerkschafter sind umgehend zu anderen Depots ausgewichen und haben diese blockiert. Außerdem haben sich zahlreiche Lastwagenfahrer der Aktion angeschlossen und nicht nur Straßensperren und Schneckentempo-Aktionen organisiert, sondern ebenfalls mit ihren Fahrzeugen Blockaden vor Treibstofflagern gebildet.

Da der Ölhafen von Marseille seit drei Wochen bestreikt wird und aufgrund von Ausständen der Chemiearbeiter alle zwölf Raffinerien des Landes stillstehen, kommt es gebietsweise zu Engpässen bei der Treibstoffversorgung.

Zwar verweist die Regierung auf die umfangreichen Staatsreserven und warnt vor Hamsterkäufen. Doch tatsächlich bereitet ihr die Versorgung mit Treibstoff echte Sorgen; im Innenministerium wurde bereits ein Krisenstab gebildet, der den Einsatz gegen die Streikenden generalstabsmäßig vorbereitet. Um Kritik daran von vornherein abzuschmettern, wird von verschiedenen Ministern in den Medien das gleichlautende (und wohl vom Elysée vorgegebene) »Argument« verbreitet, man wolle keinesfalls das verfassungsmäßig verbriefte Streikrecht einschränken, aber dieses schließe nicht das Recht ein, die Versorgung zu paralysieren.

Offensichtlich geht es der Regierung vor allem darum, Zeit zu gewinnen. Sie rechnet mit einer Resignation und dem Abflauen der Aktionen gegen Ende der Woche, wenn das Rentengesetz verabschiedet ist. Außerdem beginnen am Freitag an den Schulen die Herbstferien und das, so hofft man, schwächt die Protestfront der Schüler und Studenten, die den Aktionen eine ganz neue Dimension gegeben haben. Schließlich machen sich die jungen Franzosen ebenfalls Gedanken über die Zukunft des Rentensystems und sind vor allem besorgt, dass sie umso später eine Chance auf einen dauerhaften Arbeitsplatz haben werden, je später die heute Arbeitenden in Rente gehen können.

Zudem besteht bei Massendemonstrationen von Jugendlichen immer die Gefahr, dass sie durch gewaltbereite Randgruppen unterwandert werden und aus dem Ruder laufen. Das liefert wiederum der Regierung den Vorwand, mit Polizeigewalt einzugreifen. Erste solche Zwischenfälle hat es in den vergangenen Tagen schon gegeben. Dabei sind mehrere Jugendliche verletzt worden, einer von ihnen hat durch einen »Flashball« der Polizei ein Auge verloren.

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