Bunte Leben, karge Räume

Das Ausstellungsprojekt »Real Time Nomads« zum Thema Migration

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 2 Min.

Aus der Erinnerung rekonstruierte Kindheitsräume können karg daherkommen. Diese Erfahrung macht man bei dem konzeptionell interessanten Projekt »Real Time Nomads«, das die Schweizer Künstlerin Maja Weyermann im Projektraum Uqbar in Wedding präsentiert. Sie hat etliche Berliner Ladenbesitzer, die allesamt aus dem Ausland in die Stadt gekommen sind, nach ihrer Kindheit und ihrem Werdegang befragt. Aus diesen Informationen erschafft Weyermann dann die früheren Wohnräume.

Leider geht sie dabei sehr zurückhaltend und von Klischees geleitet vor. Ein paar Teppiche und Sitzkissen skizzieren das elterliche Haus von Herrn D. aus dem türkischen Aksaray. Üppige Vegetation wuchert digital verschleiert ins Haus von Frau N. aus Bangkok. In einem sehr leeren Raum, den Weyermann Herrn M. B. aus Sierra Leone zuschreibt, ziehen sparsam verteilte Objekte wie ein Fußball, ein Radio und ein Ventilator die Aufmerksamkeit auf sich. Die Budapester Kinderstube von Herrn K. ist hingegen mit Zinnsoldaten angefüllt. Und im Haus von Herrn W. aus Pakistan führt eine geöffnete Tür in einen Innenhof, der typisch für die dortige Bebauung scheint, dem es aber dennoch an jenen Extras mangelt, die einen Ort erst persönlich machen. Diese stereotype Zurückhaltung ist bedauerlich.

Interessanter sind da schon die kleinen Filmessays, die Weyermann produzierte. Sie überblendet hier geschickt die künstlichen Kindheitsräume mit Bildern der aktuellen Geschäftsräume ihrer Interviewpartner.

Am besten aber ist, man nimmt den Stadtplan in die Hand und sucht die Geschäfte selbst auf. Frau N. entpuppt sich etwa als die freundliche Inhaberin eines »Thai Asia Markts« in Wedding. Herr M. B. führt hier einen Spätkauf und hat zudem noch einen Kulturverein gegründet. Herr W. sorgt in seinem »Afro Asia Shop« gleich um die Ecke für eine ganz besondere kulturelle Mischung. Ein polnisches Nagelstudio in Schöneberg, ein ungarisches Kaffeehaus in Friedrichshain und eine türkische Änderungsschneiderei in Charlottenburg beteiligen sich ebenfalls an dem Projekt.

In all diesen Läden kann man die Videos gucken und neue Kenntnisse über das alltägliche Phänomen der Migration gewinnen. Zur Debatte um Einwandern und Zusammenleben ist Weyermanns gezielte Aufforderung zum Spazierengehen sicherlich wesentlich hilfreicher und ergiebiger als so mancher aktueller Bestseller auf der Sachbuch-Liste des »Spiegel«.

Bis 20.11., Projektraum Uqbar, Schwedenstr. 16, Do.-So. 14-19 Uhr; Collegium Hungaricum, Dorotheenstr. 17, täglich 10-19 Uhr; NBK, Chausseestr. 128/9, Di. und Do. 14-20, Mi. und Fr. 14-18 Uhr

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