Selektion per IQ?

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 2 Min.
Karikatur: Christiane Pfohlmann
Karikatur: Christiane Pfohlmann

Eltern stehen heute massiv unter Druck, das »Beste« aus ihrem Kind herauszuholen. Oft bleibt das »Genie, das in jedem steckt«, auf der Strecke, wie der Biologe Werner Siefer kürzlich schrieb. Siefer bezieht sich auf eine Studie der Psychologin Angela Duckworth (University of Pennsylvania), die im »Durchhaltevermögen gesteckter Ziele« und nicht im Intelligenzquotienten einen Erfolg begründet sieht. Anders der Mediziner Manfred Spitzer. Für ihn sei es eine Frage der Zeit, wann Kinder per Gentest der geeigneten Schule zugewiesen werden könnten, erklärte er vor Wochenfrist auf zeit.de. Spitzensportler »trainierten alle maximal gleich«, so dass Gene zur Entscheidung über Goldmedaillen führten. Dies übertrug Spitzer auf Schulen und bedauerte deren Mittelmäßigkeit. Dort, wo diese Maximalleistungen verlangten, zeigten sich Differenzen, womit der Beweis verschiedener Begabungen und damit die Relevanz der Gene erbracht sei. Unterschiedliche Weizensorten würden auch auf dem jeweils besten Boden wachsen.

Sieht man einmal davon ab, dass der Vergleich Mensch-Weizen wissenschaftlicher Blödsinn ist, fällt vor allem Spitzers im Gewand zwingender Technologie-Logik verkleidete Menschenverachtung auf. Die Überhöhung technologischer Möglichkeiten, der einseitige Fokus auf eine allgemeine Verbesserung des Menschen, die Simplifizierung komplexer Inhalte führen zu einem unverhohlen sozialen Sarkasmus. Demgegenüber liest sich die Studie von Duckworth als empirischer Befund Humboldtscher Bildung, dernach sich der Mensch in stetiger »Auseinandersetzung mit der Welt« selbst bildet. Auch wenn diese Studie Gefahr läuft, den Anteil an Zufall, Emotion und stiller Gehirnleistung am Erfolg zu negieren, wird sie gerade wegen der in der »Auseinandersetzung der Welt« enthaltenden sozialen Komponente interessant. Es ist an der Zeit, Forschung daran zu messen, inwieweit sie dem Menschen als soziales Individuum gerecht wird. In diesem Sinne geht es auch um ein nachhaltiges Menschenbild.

Die Autorin ist Erziehungswissenschaftlerin und lebt in Berlin.

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