Pferde auf dem Medizinmannpfad

Die Huftiere wanderten zwischen Nordamerika und Eurasien hin und her

  • Norbert Suchanek
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Przewalski-Pferd ist die letzte noch existierende Wildpferdart.
Das Przewalski-Pferd ist die letzte noch existierende Wildpferdart.

Im späten Pleistozän vor 50 000 bis 19 000 Jahren zogen Pferde zwischen Eurasien und Nordamerika hin und her. Das zeigt eine neue Studie, die indigenes Wissen mit moderner DNA- und Isotopenanalyse kombiniert. Die Tiere überlebten so nicht nur veränderte Umweltbedingungen, sondern beeinflussten auch die Ökosysteme.

Das Pferd entstand vor etwa vier Millionen Jahren in Nordamerika. Als der Meeresspiegel stieg und Landbrücken zwischen den Kontinenten entstanden, gelangten Herden auch nach Eurasien. Es folgten interkontinentale Wanderungen von Pferdepopulationen in beide Richtungen, die sich bis in die jüngste Eiszeit fortsetzten, so die im Fachjournal »Science« veröffentlichte Studie eines internationalen Teams von 57 Forschern inklusive 18 indigener Wissenschaftler und traditioneller Wissensträger der nordamerikanischen Völker Lakota, Blackfoot, Sqilx’w und Dene’.

Die Forscher analysierten die DNA von 67 Fossilien urzeitlicher Pferde aus Beringia, Sibirien und dem nordamerikanischen Kontinent und verglichen die Daten mit allen bekannten Abstammungslinien. Die Studie zeigt eine größere genetische Vielfalt der Pferde im späten Pleistozän als heutzutage sowie lange, wechselseitige transkontinentale Pferdewanderungen zwischen Alaska und Sibirien.

»Leben muss sich fortbewegen, um zu überleben.«

Joe American Horse Lakota-Häuptling

Laut Studienmitautor Wilson Justin, einem Ältesten und traditionellen Wissensträger der Dene’, war dieser Pferdekorridor, der über Zehntausende von Jahren den amerikanischen mit dem eurasischen Kontinent verband, den Indigenen als »Medizinmannpfad« bekannt. Er erstreckte sich von der Mongolei in Ostasien quer durch Nordamerika bis ins Gebiet der Maya im heutigen Mexiko.

»In dieser Studie haben wir indigenes Wissen und westliche wissenschaftliche Methoden angewandt, um die Auswirkungen des Klimawandels auf Pferde zu untersuchen«, schreiben die Forscher. »Wir fanden heraus, dass spätpleistozäne Pferde aus Alaska und dem nördlichen Yukon mit Populationen aus Eurasien verwandt sind und die Bering-Landbrücke während der letzten Eiszeit mehrfach überquerten. Wir entdeckten außerdem stark divergierende Abstammungslinien nördlich und südlich der amerikanischen Eisschilde, die die Populationen in Beringia und bis nach Eurasien genetisch beeinflussten.«

Das Verhalten der Pferde, ihre ökologische Rolle sowie ihre Anpassungsfähigkeit und Kapazität, große Entfernungen zu überwinden, haben die Weltanschauungen und Erkenntnisse vieler indigener Völker weltweit maßgeblich geprägt. »Wir verstehen die Pferde als eine Schlüsseltierart, die zusammen mit den anderen Lebensformen, mit denen sie in Beziehung steht, für das Gleichgewicht im Ökosystem sorgt«, sagt Harold Left Heron, traditioneller Wissensträger der Lakota, der an der Studie mitarbeitete.

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Mithilfe von traditionellem Wissen und Isotopenanalysen zeigt die Studie außerdem, dass sich mit den Wanderungen der Pferdepopulationen auch andere Tier- und Pflanzenarten von einem Lebensraum zum anderen bewegten. So folgten den Huftieren Raubtiere aller Art und Größe.

Das Verdauungssystem des Pferdes und sein tägliches Weide- und Äsungsverhalten sorgen dafür, dass Samen, in Dung eingeschlossen, ausgeschieden werden und rasch nach dem Auftreffen auf den Boden keimen. Damit bringen die wandernden Pferde Pflanzenarten von einer Region in die andere und düngen darüberhinaus die Böden. Pferdeäpfel ziehen zudem bestimmte Insektenarten an, denen wiederum ihr Fressfeinde folgen. Verschwindet das Pferd aus einem Gebiet, stoppt dieser Prozess.

»Leben muss sich fortbewegen, um zu überleben«, so Lakota-Häuptling Joe American Horse. »Wir haben diese Studie gemeinsam mit unseren Verbündeten anderer indigener Völker durchgeführt, um der Welt die Bedeutung von Wanderungen für die Erhaltung des Lebens aufzuzeigen.«

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