Perlen im Nachtprogramm versteckt

MEDIENgedanken: Guter Film, schlechter Sendeplatz

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Mehr als 1,1 Millionen Zuschauer im Kino, Berlinale-Teilnahme, mehrere Deutsche Filmpreise und bei der Erstausstrahlung auf Arte 1,5 Millionen Zuschauer – Doris Dörries zärtliche Liebesgeschichte »Hanami – Kirschblüten« hat Kritiker begeistert und ältere Menschen wieder ins Kino gelockt, die seit Jahrzehnten keinen Fuß mehr in ein Filmtheater gesetzt hatten. Der rechte Film für einen Hauptsendeplatz am Samstagabend in der ARD, meinen sieben Verbände der Filmschaffenden vor und hinter der Kamera. Das Erste programmierte das Kleinod am Vorabend des Totensonntags jedoch erst nach 22 Uhr. »Wir wollten für diesen ganz besonderen Film einen Sendeplatz finden, auf dem wir möglichst viele Zuschauer erreichen, der aber auch, was Genre und potenzielles Publikum betrifft, in keiner allzu harten Konkurrenz steht. Am 20. November werden beide Kriterien erfüllt,« verteidigt ARD-Programmdirektor Volker Herres die Entscheidung.

Der Streit um »Hanami« beschreibt das zwiespältige Verhältnis der öffentlich-rechtlichen Sender zu den Kinomachern. Sie sind wichtige kreative und finanzielle Förderer des deutschen Films, insbesondere des Nachwuchses. Die SWR-Reihe »Debüt im Dritten« feiert in diesen Tagen ihren 25. Geburtstag, das »Kleine Fernsehspiel« des ZDF gilt ebenso als wichtige Talenteschmiede. Diese Engagements möchte niemand missen. Nur: Feste Sendeplätze für prominente Spielfilme im Hauptabendprogramm sind bei ARD und ZDF sowie den dritten Programmen in den vergangenen Jahren verschwunden. Sie werden nur unregelmäßig und oft zu sehr später Stunde eingerichtet. In der ARD vorzugsweise im Sommer, wenn die Gastgeber von vielen Talk-Runden im Urlaub sind.

Ein riesiger, attraktiver Programmschatz, der mit dem Geld des Gebühren- und Steuerzahlers entstanden ist, liegt so brach. »Wir haben mit dem ›SommerKino‹ und der ›Debüt‹-Reihe attraktive Sendeplätze für den Film. Und ›Buddenbrooks‹, den wir am 27. und 28. Dezember bringen werden, belegt, dass wir für eine Event-Programmierung den begehrtestes Sendeplatz im deutschen Fernsehen, direkt nach der 20-Uhr-›Tagesschau‹, frei räumen,« beschreibt Herres die Philosophie des Ersten. »Das deutsche Filmschaffen kann qualitativ und quantitativ einen wöchentlichen Sendeplatz um 20.15 Uhr ausfüllen«, bringt dagegen Matthias Schwarz, Vorstand Film der Produzentenallianz, die Meinung der Macher auf den Punkt.

Im Kern der Diskussion geht es um Inhalte und Formalien. Die Spielfilme sind in den vergangenen Jahrzehnten länger geworden. Kaum einer hat noch das Fernsehmaß von weniger als 88 Minuten und 30 Sekunden. Damit passen sie nur selten in das starre Schema des Programms mit festen Anfangszeiten für Informationssendungen und Talk-Runden. Für einen attraktiven Frühtermin müssten die Regisseure ihre Werke dann selbst schneiden wie es Rainer Kaufmann bei seiner Adaption von Walsers »Ein fliehendes Pferd« für die ZDF-Ausstrahlung machte. Es kommt aber auch mal vor, dass ein Film mit Schnitten um seine besten Szenen gebracht und damit passend gemacht wird.

Weitaus gravierender ist die inhaltliche Schere zwischen dem quotenorientierten Programm und den Filmen, die sich in der ARD in den 17 Jahren unter Herres Vorgänger Günther Struve weit geöffnet hat. Sein Name steht für den Einzug seichter Serien und Fernsehfilme, die die Sendeplätze um 20.15 Uhr mit Ausnahme des Fernsehfilms am Mittwoch mittlerweile füllen. Das hat auch auf die dritten Programme abgefärbt.

Die verantwortlichen Redakteure für die Spielfilme haben sich dagegen ein Herz für anspruchsvolle, engagierte Kinofilme bewahrt, die sich der deutschen Geschichte und dem Hier und Heute ohne Tabus stellen und mit ihrer filmischen Brillanz etliche Preise einfahren. Ohne Bettina Reitz vom BR, Gebhard Henke vom WDR, bis zu ihrem Ausscheiden Cookie Ziesche vom rbb oder Carl Bergengruen vom SWR wären Christian Petzold, Andreas Dresen, Detlev Buck, Dani Levy, Fatih Akin und viele andere namhafte Regisseure nicht dort, wo sie heute sind. Ihre Filme wären eine Zierde für das Hauptabendprogramm. Sie werden es heute aber zu selten. Müssen sie dazu wie die »Buddenbrooks« zu den sogenannten Amphibienfilmen (Fime, bei denen eine Kinoversion und eine mehrteilige TV-Fassung produziert wurde) gehören? Oder gar erst einen Oscar gewinnen wie Florian Henckel von Donnersmarcks »Das Leben der anderen«, der mehrmals nach der »Tagesschau« lief? Bettina Reitz war eine der ersten, die an das Potenzial der Geschichte glaubte. Ohne den Preisregen und den Zuschauerzuspruch im Kino hätte es dieser Debütfilm wohl kaum auf diesen Sendeplatz gebracht. Es bleibt der Eindruck, dass insbesondere die Verantwortlichen in der ARD-Chefetage in München sich nicht der Schätze bewusst sind, die in den Archiven verstauben. Die Anstalten sind an mehr als 50 Kinokoproduktionen im Jahr beteiligt. Und wenn auch nicht alles so gelingt, wie es sich alle Beteiligten vor Beginn der Produktion vorgestellt haben, lässt sich mit diesen Premieren und Wiederholungen locker ein attraktiver Sendeplatz füllen.

Doch in der ARD schielt man nur nach der Quote und meint wohl, dass sich ein größeres Publikum nicht mit ernsteren Stoffen oder ungewöhnlichen Erzählweisen anfreunden kann. Damit unterschätzen die Verantwortlichen ihre Finanziers, die Gebührenzahler. So erreichte Bernd Böhlichs humorvolles Sozialdrama »Du bist nicht allein« bei der Erstausstrahlung knapp fünf Millionen Zuschauer. Und die bisherige Resonanz auf »Hanami« lässt erwarten, dass sich Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender und Publikumsgeschmack nicht ausschließen.

Die Autorin ist freier Medienjournalistin und lebt in Berlin.

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