Militärpakt auf Samtpfoten

  • Peter Strutynski
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Politologe ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
Der Politologe ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.

Das neue strategische Konzept der NATO ist ein Dokument des Übergangs. Es enthält weder Überraschungen noch wirkliche Neuerungen. Vielmehr werden die Praxis der NATO bestätigt und künftige Einsatzbereiche nur vage angedeutet. Vor allem aber beginnt es mit einer faustdicken Lüge, wenn festgestellt wird, die NATO sehe ihren vornehmsten Zweck in der Verteidigung der Mitgliedstaaten gegen Angriffe von außen. Die hatte es nicht in der Zeit des Kalten Kriegs gegeben, spätestens mit Auflösung des Warschauer Pakts sind sie undenkbar geworden. Seit dem NATO-Gipfel 1991 in Rom galten der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, die militärische Absicherung des freien Welthandels und des Zugangs zu lebenswichtigen Rohstoffen sowie die Sicherung der Energieversorgung als erklärte Ziele des Militärbündnisses. Festgehalten wurde an der Doktrin der atomaren Abschreckung einschließlich des Vorbehalts eines »Erstschlags«. Mit dem Krieg um Kosovo wurde zudem die strikte geografische Eingrenzung des Aktionsradius der NATO auf den atlantischen Raum aufgegeben. Und in Afghanistan zieht die NATO alle Register völkerrechtswidriger Kriegführung.

Die neuen Elemente des Konzepts von Lissabon beziehen sich auf eine erweiterte Bedrohungswahrnehmung. Da sind einmal die »feindlichen« Mittel- und Langstreckenraketen, die das Bündnis erreichen können und gegen die ein gemeinsames Raketenabwehrsystem installiert werden soll. Dafür hatte Kriegspräsident Bush vorsorglich den ABM-Vertrag einseitig gekündigt – eine Maßnahme, die von seinem Amtsnachfolger Obama nicht rückgängig gemacht wurde. Gegen Bushs Raketenabwehrpläne hatte sich Widerstand geregt – nicht zuletzt auch von der Bundesregierung; der neue Plan – in der Sache vergleichbar mit dem alten – wird von den 28 NATO-Staaten abgenickt und erhält den Segen Russlands. Die opponierende Türkei wurde dadurch zufrieden gestellt, dass Iran im Dokument nicht ausdrücklich erwähnt wird. Alle Welt weiß aber, dass der Feindstaat Nr. 1 gemeint ist. Die zweite neue Bedrohung seien Cyber-Attacken, die sich gegen Mitgliedstaaten oder NATO-Einrichtungen richten könnten. Die aufgeregte Debatte, ob ein Militärbündnis die richtigen Instrumente bereithält, um mit dem Problem umzugehen, ist von der Realität überholt: Zwei Tage vor dem Gipfel in Lissabon begannen NATO-Übungen, in denen die Chancen der Reaktion auf mehrfache, gleichzeitig vorgetragene Cyber-Attacken durchgespielt werden.

Die NATO präsentiert sich gern als ein »System kollektiver Sicherheit«, das den grundlegenden Werten von Demokratie, Freiheit und der Wahrung von Menschenrechten verpflichtet sei und auf völkerrechtlicher Grundlage der UN-Charta operiere. Sie kommt auf Samtpfoten daher, bleibt aber ein bis an die Zähne bewaffnetes Bündnis, das 75 Prozent der weltweiten Rüstungs- und Militärausgaben auf sich vereinigt. Ihre scharfen Krallen zeigte sie im Krieg gegen Jugoslawien und seit neun Jahren im Afghanistankrieg. Längst ist aus dem einstigen Verteidigungsbündnis ein Militärpakt geworden, der nach innen Sicherheit verspricht, nach außen aber jederzeit zum Angriff fähig und bereit ist. Die Welt kann erst aufatmen, wenn sich diese Kriegsallianz aus der Geschichte verabschiedet hat. Daran müssen wir arbeiten.

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