Luis Ramón Marín

Chronist der Brüche

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Einen kleinen Hinweis, welchen Epochenbruch die Franco-Diktatur für Spanien darstellte, kann man derzeit in der Ausstellung des fotografischen Werks von Luis Ramón Marín im spanischen Kulturinstitut Cervantes in der Rosenstraße sehen. Marin war in den ersten drei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts einer der bekanntesten Fotojournalisten Spaniens. Sein Wirken brach nach dem Sieg Francos jedoch abrupt ab. Seine Bilder wurden vergessen. Sein Name verschwand. Dass es im Verborgenen überdauerte, ist der Verdienst seiner Frau und seiner Tochter. Im Jahre 2008 schließlich ging die Tochter Lucía Ramón erstmals mit den Arbeiten ihres Vaters an die Öffentlichkeit. Seitdem werden sie in Spanien gezeigt und touren auch durch Europa.

Ramón Marín erweist sich in seinen Schwarz-Weiß-Aufnahmen sowohl als Chronist des Alltagslebens als auch als Dokumentarist der politischen Ereignisse. Er ist bei Freizeitvergnügungen wie einem Boxkampf in einem Stadion, bei Auto- und Motorradrennen sowie bei der Auslosung der Weihnachtslotterie präsent. Er begleitete König Alfonso XIII. bei Empfängen und Reisen ins Feldlager. Er lichtete Prinzen und Prinzessinnen ab. Auffällig ist hierbei sein Blick für gewaltig sich bauschendes Textil, das aus der Rückschau wie ein Symbol für die Restauration wirkt, die mit Alfonsos Regierungszeit verbunden war: Es bläht sich der Stoff des Zeltes, aus dem er während eines Manövers tritt. Imposant sind auch die Überwürfe der Mitglieder des Militärordens, dem die männlichen Mitglieder der königlichen Familie angehörten. Als Kontrapunkt platzieren die Ausstellungsmacher gleich daneben die Aufnahme einer in blendend weiße Schürzen gehüllten Gruppe von Frauen.

Der Fotograf ist auch während des Bürgerkriegs aktiv. Den präsentierten Arbeiten zufolge ist er meist nicht an der vordersten Frontlinie dabei. Aber seine Aufnahmen leuchten den Hintergrund aus. Er zeigt das Treiben an einer Rekrutierungsstelle der republikanischen Armee in Madrid, die von Freiwilligen schier überlaufen ist. Eine republikanische Miliz posiert stolz um einen Pkw, den sie als Gefährt für die Kämpfe requiriert hat. Mitglieder kommunistischer Milizen versammeln sich um ein gepanzertes Fahrzeug und recken die geballten Fäuste in den Himmel.

Ramón Marín fängt aber auch ein Militärtribunal der Rechten ein, das mit steifer Würde und einem Lächeln im Gesicht zur Aburteilung ihrer Gegner schreitet. Seine Aufmerksamkeit widmet er zudem jungen Burschen, die zwischen den Pflastersteinen von Madrids Magistrale Gran Via nach Getreidekörnern suchen, die von den Fahrzeugen heruntergefallen sind. Hunger und Not haben hier ein Gesicht.

Fotos eines über Madrid kreisenden Tragschraubers – eines Flugzeugs mit rotierenden Flügeln, die nur durch den Fahrtwind in Bewegung gebracht werden – und einer Gruppe von Männern, die auf einen Telefonleitungsmast steigen, sind nicht nur ein Hinweis auf die trotz aller politischen Restauration dennoch einsetzende Industrialisierung des Landes. Sie verweisen auch darauf, dass Luis Ramón Marín seine Laufbahn als Industriefotograf begann. Seine Arbeiten werden zum ersten Mal in Deutschland gezeigt.

Bis 25.11., Instituto Cervantes, Rosentr. 18-19, Mo.-Fr. 12-19 Uhr, Eintritt frei

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