Situation Berlin

Landesmuseum präsentiert Werke des Fotografen Arno Fischer

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
West-Berlin, 1. Mai, Tiergarten 1959
West-Berlin, 1. Mai, Tiergarten 1959

Arno Fischer mag Aussagen, die auf den Punkt kommen. Fotografie sei »eine technische Möglichkeit, für einen schöpferischen Menschen sich auszudrücken. Das ist die Kunst«, hat er vor kurzem in einem Interview gesagt. Und dabei daran erinnert, dass er von der Bildhauerei kommt und dort besonders gut war im Relief, also im Organisieren zweidimensionaler Strukturen.

Dieser Selbsteinschätzung des Altmeisters der Ostberliner Fotografie kann man getrost folgen, wenn man die anlässlich der Verleihung des Hannah Höch-Preises ausgerichtete Fischer-Ausstellung in der Berlinischen Galerie betritt.

Wie eine Skulptur herausgearbeitet ist etwa die Gestalt der großen Sängerin Juliette Greco, die Fischer im Jahre 1965 porträtierte. Wie eine Installation muten jene drei Männer und eine Frau an, die im Jahre 1957 an der damaligen Stalinallee auf den vorbeifahrenden Nikita Chruschtschow warten. Die beiden jüngeren Burschen haben auf einem Bretterzaun Position bezogen und rahmen den älteren Herrn, der auf gekreuzten Bohlen ruht und die rechts neben ihm lehnende Frau ein. Im Hintergrund ist eine Brachfläche, dahinter fährt ein Bus, und links ragt eine dunkle narbige Brandmauer auf, die an jene aus dem Wedding im Jahre 1953 erinnert, durch die ein senkrechter Riss ging und die deshalb schon früh als eine fotografische Metapher auf das damals nur durch Sektorengrenzen geteilte Berlin galt.

Wie inszeniert wirkt hingegen ein ebenfalls in den 50er Jahren aufgenommenes Foto aus Tiergarten: Unter einem nackten Fenster prangt ein steinerner Reichsadler. In seinen Fängen ist ein Hakenkreuz zu erkennen. Das unter dem benachbarten Fenster einst angebrachte Exemplar ist indes schon abgeschmiert. Auf dem Fensterbrett hat eine Taube Platz genommen, die den symbolhaft aufgeladenen Raubvogel abgelöst hat.

In vier Segmente hat Ulrich Domröse, Kurator für Fotografie der Berlinischen Galerie, die Ausstellung aufgeteilt. Das größte umfasst die Berlin-Fotos. Sie stammen aus dem Werkzusammenhang »Situation Berlin«, für den Fischer in eigenem Auftrag zwischen 1953 und 1960 in der Stadt unterwegs war. Das geplante Buchprojekt erledigte sich kurz nach dem Mauerbau. Als die Fotos bei der Herbstmesse 1961 unter dem Titel »Situation Berlin« ausgestellt waren, beschied die Abnahmekommission: »Genossen, Berlin ist keine Situation mehr!«

Ein zweiter Teil enthält Aufnahmen von Auslandsreisen: ruhende Menschen in Leningrad (1964), Nebel in Murmansk (1964) und eine alte, in sich zusammen gesunkene Frau im portugiesischen Braga, die – im Jahre 2006 fotografiert – auf untergründige Weise mit den Leningradern aus den 60er Jahren in einen Dialog tritt. Bei Fotos aus New York (1984) ist eher das Staunen des Ostdeutschen über die bunte und vielfältige Welt zu spüren.

Bei den Porträts – von Künstlergrößen wie Greco und Marlene Dietrich, aber auch von einem Thüringer Fuhrunternehmer mit einem Gesicht wie eine Landschaft – ist Fischer wieder stärker bei sich.

Eine Überraschung ist ein Kubus in der Mitte des Raumes. Er ist mit schon verblassten Polaroids aus der Serie »Der Garten« bestückt. Baumrinde, in der sich Konturen von Gesichtern abzeichnen, Konstellationen von Gartengerät, Pflanzen und Käfer sind hier zu erkennen. »Der Garten« erweist sich als ein aufgeblättertes Skizzenbuch, das unscheinbar erscheint, aber die feine Kunst des Bildarrangeurs Fischer nicht verbergen kann. Eine schöne Ausstellung zu einem bemerkenswerten Anlass. Der 83-jährige Fotograf erhielt 2010 für sein Lebenswerk den Kunstpreis des Landes Berlin.

Bis 28. Februar, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Kreuzberg, Mi.-Mo., 10–18 Uhr

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