»Santa Claus« in der Warenwelt

Der Weihnachtskult treibt in den USA seltsame Blüten

  • Lesedauer: 4 Min.
Von Max Böhnel, New York
»Santa Claus« im New Yorker Vorgarten
»Santa Claus« im New Yorker Vorgarten

Das Gedränge der Fußgänger an der New Yorker Kreuzung 34. Straße und Siebente Avenue ist im letzten Jahresmonat größer als sonst. Schon frühmorgens um halb acht bildet sich bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt eine Menschenschlange. Denn Macy's, das größte Kaufhaus der Welt, öffnet um acht seine Eingangstüren.

»Santa« wolle sie sehen, sagt die schlaftrunkene sechsjährige Isabelle. Sie kuschelt sich an ihre Mutter. Zwei Stunden haben sie im Morgengrauen auf der Autobahn von Pennsylvania nach New York City verbracht. »Einmal den richtigen bei Macy's sehen«, damit wolle auch sie sich einen Kindertraum erfüllen, sagt Mama Carol. »Santa«, kurz für »Santa Claus« – das ist in den USA eine Einrichtung wie das Christkind oder der Weihnachtsmann. Und bei der Kaufhauskette Macy's, die an der Wall Street notiert ist, gibt es angeblich den »richtigen Santa«. Seit Jahrzehnten findet er sich in voller weiß-roter Pracht und mit wallendem Bart samt Rentierschlitten schon Ende November in dem Kaufhaus ein, als letzte Figur der New Yorker Thanksgiving-Parade, die traditionell von Macy's ausgerichtet wird und das Weihnachtsshopping im Big Apple einläutet.

Punkt acht öffnen als Elfen verkleidete Macy's-Angestellte die Pforten und erläutern den Weg zum Aufzug in den achten Stock. Denn dort befindet sich »Santaland«, eine wilde Mischung aus weihnachtlichem Glimmer und Glitzer, einem Rausch in rot-weiß, eisblauen Nordpolmotiven mit Plastikpinguinen, Engeln mit weißen Flügeln und mehr als einem Dutzend erleuchteten Weihnachtsbäumen, üppig mit Silberlametta geschmückt. Aus unsichtbaren Lautsprechern ertönt das unvermeidliche »White Christmas«.

Elfen winken Isabelle und Carol heran. Die Kleine setzt sich freudestrahlend auf die linke Schoßhälfte des leicht übergewichtigen Darstellers. Mama schwingt sich auf den anderen Oberschenkel. »Cheese« – die drei blicken in zwei Fotokameras. Klick, klick, und noch einmal, damit der Moment auch wirklich nicht verloren geht. 56 Dollar kosten die vier Polaroid-Abzüge und eine Foto-CD. Den Insignien des »Santa Claus« entgehen die Weihnachtseinkäufer auch außerhalb von Macy's nicht. Der meist lächelnde alte Mann ist auf Werbeplakaten, in Schaufenstern, auf Kaffeetassen und Servietten zu sehen. Eine rote Weihnachtsmannmütze mit weißem Quast zu tragen, das gehört in den USA mit der sonst so strengen Kleiderordnung im Berufs- und Partyleben für einige Wochen dazu.

Obwohl der Kult in seiner Trivialität und Warenförmigkeit an Mickey Mouse erinnert, hat er doch vorkapitalistische europäische Wurzeln. Schon in den vergangenen Jahrhunderten war Santa der Weihnachtsmann, der Überbringer von Geschenken, in Gestalt eines Bischofs mit der entsprechenden Kleidung. Nach Nordamerika gelangte im 17. Jahrhundert eine holländische Version namens »Sinter Klaas« in die niederländische Kolonie Nieuw Amsterdam – die 1674 von den Engländern übernommen wurde und heute als New York bekannt ist. Der Dichter Clement C. Moore, zugleich Professor an der New Yorker Columbia-Universität, beschrieb ihn 1821 als dickliches, freundliches Männchen. Der aus Deutschland stammende Illustrator Thomas Nast zeichnete diesen »Santa Claus« in der Form, wie wir ihn heute kennen, wenn auch in Schwarz-weiß.

Erst der Coca-Cola-Konzern verewigte schließlich Anfang der 1930er Jahre die rot-weiße Farbgebung des Weihnachtsmannes – in Form einer Werbekampagne. Dass Santa Claus in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember durch den Kamin in die Wohnungen steigt und dort Geschenke hinterlässt, ist aber keine Erfindung der Werbeindustrie – ebenso wenig sein Transportmittel, der Schlitten mit den Rentieren. Dieser Mythos geht auf Moore zurück, der die Geschichte für sein Gedicht »A Visit from St. Nicholas« erfunden hatte.

In US-amerikanischen Vorstadtgärten werden zur Weihnachtszeit neben Abbildungen von »Santa« auch gern Rentiere ausgestellt. Das berühmteste ist Rudolph mit der roten Nase. Es geht auf den Autor eines Malbuches in den 1930er Jahren zurück, der die Rechte an seiner Figur der Kaufhauskette Ward übergab. »Rudolph the Red-Nosed Raindeer« ist bis heute eines der meistverkauften Kinderbücher weltweit. Das Pentagon wiederum hat »Santa Claus« gleichsam militarisiert. Denn wenn sich der Geschenkebringer am 24. Dezember durch die Lüfte vom Nordpol nach Nordamerika aufmacht, dann hat die Luftverteidigung »North American Aerospace Defense Command« (NORAD) ein Unterhaltungsprogramm eingerichtet, das über Telefon und Internet abrufbar ist. Es informiert die Kleinen, die sich zu Hause dazuschalten, über den jeweiligen Standort von »Santa«.

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