Banküberfälle für die Rente

Die Altersarmut steigt – und lässt Rentner zu Räubern werden, prognostizieren Kriminologen

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Nicht viel zu verlieren: Je mehr Menschen von ihren Renten nicht leben können, umso mehr werde die Alterskriminalität steigen, sagen Experten voraus. Ein Blick nach Bayern, wo die Armutsquote von Rentnern deutschlandweit am höchsten ist.
Die »Rentner-Gang« bricht aus ihrem trostlosen Leben aus, 1979 im Film, aber die Realität nähert sich an.
Die »Rentner-Gang« bricht aus ihrem trostlosen Leben aus, 1979 im Film, aber die Realität nähert sich an.

Seniorenräuber, die wegen ihrer zu niedrigen Rente zur Pistole greifen und Banken wie Supermärkte überfallen – die künftige Altersarmut wirft ihre langen Schatten voraus. Bayern ist dabei vorne dran: Nirgendwo in Deutschland sind so viele Senioren von Armut bedroht wie im Freistaat, alarmierte jetzt der Sozialverband VdK. Denn die Armutsquote aller über 65-Jährigen im Freistaat ist mit 17,7 Prozent die höchste in Deutschland. Und München, die Hauptstadt des Freistaates, scheint die Hochburg greiser Räuber zu werden. Erneut hat hier ein Rentner eine Bank überfallen. Der 72-Jährige betrat Mitte Dezember ein Geldinstitut im Stadtteil Milbertshofen und forderte auf einem Zettel die Herausgabe von Bargeld. Milbertshofen ist ein Stadtviertel im Norden der Stadt, das einen hohen Anteil von Hartz-IV-Betroffenen aufweist. Während eine Bankangestellte dem Rentner Bargeld aushändigte, hatten Passanten die Polizei gerufen. Der Mann wurde verhaftet und sitzt nun wegen räuberischer Erpressung in Untersuchungshaft.

Bereits vor zwei Jahren war in München Anklage gegen einen 72-Jährigen erhoben worden, der mit einer scharfen Waffe drei Schlecker-Märkte überfallen hatte. »Wir werden uns in Zukunft generell mehr mit älteren Tätern auseinandersetzen müssen«, so dazu der Leiter des Münchner Raubdezernats, Kommissar Erwin Pickl. Als ein Grund für die Zunahme von Alterskriminalität gilt die steigende Altersarmut. Die Entwicklung wurde schon vor Jahren prognostiziert.

Im September 2007 war der Münchner Opa-Räuber zum ersten Male in einen Schlecker-Markt marschiert und hatte eine Verkäuferin bedroht. Bereits eine Woche später überfiel er eine weitere Filiale des Discounters, den dritten Coup startete er gut zwei Wochen später. Beim vierten Überfall schließlich hatte der 72-Jährige schon beim Betreten der Filiale »ein ungutes Gefühl«, wie er später äußerte, und verließ den Laden wieder. Draußen wartete die Polizei.

Dieser Senioren-Täter war ein unscheinbarer Mann mit einem geradlinigen Lebenslauf, von Beruf Buchdrucker, verheiratet und hat sich bis dahin nichts zu Schulden kommen lassen. Ungefähr zur gleichen Zeit, wie er die Schleckerfilialen überfiel, wurde am Landgericht München I ein 67-Jähriger zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Mann, bekannt als »Der Schießer«, hatte seit 2004 im Laufe von zwei Jahren insgesamt vier Banken und fünf Supermärkte ausgeraubt und so seine Rente aufgebessert. Er schoss bei seinen Überfällen sogar dreimal in die Decke, um seiner Geldforderung Nachdruck zu verleihen. Rund 26 000 Euro erbeutete er auf diese Weise. Auch der »Schießer« hatte bis dahin ein normales Leben geführt: Volksschule, Maurerlehre, Polier. Einer, der, wie er sagt, ein ganzes Leben lang gearbeitet hat. Mit zwei Herzinfarkten, einem Bandscheibenvorfall und einer Quetschung von Nervenbahnen putschte sich der 67-Jährige mit Strohrum und Medikamenten auf, bevor er an die Aufbesserung seiner Rente von 1100 Euro ging. Die sei größtenteils schon für die Miete draufgegangen.

Für Kriminalkommissar Pickl sind diese Senioren-Räuber zwar noch nicht statistisch auffällig, das wird sich aber nach seiner Einschätzung mit der demographischen Entwicklung ändern: »Es ist zu befürchten, dass die Täter älter werden.« Denn, so Pickl, »die Leute sind vitaler und wollen ihren bisherigen Lebensstandard halten«. Und stellen dann fest, die Rente reicht nicht mehr aus, das Leben so weiterzuführen wie gewohnt. Es spielt auch eine gewisse Rolle, sagt der Kommissar, dass man in diesem Alter nicht mehr viel zu verlieren hat. Bei einer statistischen Lebenserwartung von 76 Jahren für Männer ist für einen 72-Jährigen die Möglichkeit, auf volles Risiko zu spielen, eine Überlegung wert.

Dies meint auch Michael Walter vom Institut für Kriminologie an der Universität Köln. Wenn die »Kosten-Nutzen-Analyse« zugunsten des Nutzens ausfällt, dann »ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Fälle zunehmen«. Zwar werden ältere Menschen in der Regel weniger straffällig als jüngere, doch können Senioren, die wenig zu verlieren haben, auch nach einem völlig unauffälligen Leben zu Straftätern werden. Wenn durch Langzeitarbeitslosigkeit die Rente das Leben nicht sichert, dann steigt die Wahrscheinlichkeit von Delikten an, so Walter. »Manche werden sogar straffällig, nur um ihren Enkeln etwas schenken zu können.«

Attraktiv war dieser Weg der Geldmittelbeschaffung auf jeden Fall für das bislang älteste Bankräuber-Trio, das mit Handgranaten-Attrappen und Maschinenpistolen seine eigene Form der privaten Altersvorsorge gestaltete. Die drei Männer im Alter von damals 64, 73 und 74 Jahren hatten von 1988 bis 2004 insgesamt 14 Banken in Westfalen und Niedersachsen überfallen und dabei rund eine Million Euro erbeutet. Erst vor gut fünf Jahren konnten das Trio von einer eigens gebildeten »SOKO Opa« gefasst werden, der Richter verhängte insgesamt 31 Jahre Haft. Hauptmotiv für die Taten war Geldbedarf, unter anderem wegen geringer Rentenansprüche. So hatte der 73-Jährige einen Bauernhof gepachtet, um nicht ins Altersheim zu müssen, der 64-Jährige wollte sich ein Polster für das Alter anlegen.

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