»Industriefreundlicher Grenzwert«

Umweltschützer üben Kritik an zu geringen Auflagen für die Nanoröhrchen-Pilotanlage von Bayer

  • Marcus Meier, Köln
  • Lesedauer: 3 Min.
Grenzwerte seien willkürlich gewählt, Gefahren ignoriert, eine Großproduktions- als Versuchsanlage genehmigt worden: Skeptiker kritisieren massiv das Genehmigungsverfahren für eine Kohlenstoff-Nanoröhrchen-Anlage des Bayer-Konzerns.
Baytubes-Kohlenstoff-Nanoröhrchen
Baytubes-Kohlenstoff-Nanoröhrchen

Die Aussage war unzweideutig: »Der Hersteller empfiehlt einen Grenzwert von 0,05 mg/m³ am Arbeitsplatz für das in der Technikumsanlage in Leverkusen hergestellte Produkt. Aufgrund der derzeit vorliegenden Informationen ist diese Empfehlung vertretbar.« So antwortete im April 2010 die damalige schwarz-gelbe Landesregierung Nordrhein-Westfalens auf die parlamentarische Anfrage eines grünen Landtagsabgeordneten.

Der Hersteller, dessen »Empfehlung« die Landesregierung nach eigenem Bekunden eins zu eins umsetzte, ist der in Leverkusen beheimate Bayer-Konzern. Beim Produkt handelt es sich um Kohlenstoff-Nanoröhren, im konkreten Fall Baytubes genannt. Die Anfrage drehte sich um deren »Gefahrenpotenzial«. Und der kritisch bohrende Abgeordnete heißt Johannes Remmel. Dieser ist mittlerweile NRW-Umweltminister und steht jetzt seinerseits in der Kritik: Die Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) und der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Nordrhein-Westfalen fordern von Remmel »einen besseren Schutz vor den Gefahren durch Nanopartikel«.

Seit Anfang 2010 ist die Nanoröhrchen-Anlage in Betrieb. Der alte Grenzwert, von Bayer empfohlen und von der alten Landesregierung übernommen, gilt noch immer. Dabei sind die »vorliegenden Informationen«, auf die Schwarz-Gelb sich damals berief, alles andere als solide. Das bestätigte bereits 2009 eine Studie des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz. Es sei »sehr wenig darüber bekannt«, wie Nanopartikel sich in der Umwelt verhalten, heißt es darin. »So gut wie keine Erkenntnisse« lägen darüber vor, wie der menschliche Körper auf den Kontakt mit den Partikeln reagiere. Es mangele schlicht an entsprechenden Studien.

CBG und BUND berufen sich in ihrer Kritik auf eine von ihnen in Auftrag gegebene Bewertung des Epidemiologen Prof. Dr. Rainer Frentzel-Beyme. Der ehemalige Leiter der Abteilung »Epidemiologie der Umwelt und des Arbeitslebens« am Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin sagt: »Der von der Firma Bayer empfohlene Grenzwert ist angesichts des Fehlens epidemiologischer Daten als völlig willkürlich anzusehen.« Die 0,05-mg-Empfehlung, so der Wissenschaftler, sei »als realitätsfern und industriefreundlich« abzulehnen.

Minister Remmel entgegnet, die von Bayer gelegten Grenzwerte könnten noch nicht bewertet werden. »Leider liegen dazu noch keine verlässlichen Daten vor.« Immerhin: Die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz will in zwei Monaten über ein Konzept für die Messung der möglichen Gefahren der Nanoröhrchen diskutieren.

Die Bayer-Kritiker von CBG und der BUND erheben weitergehende Forderungen an den grünen Umweltminister: Insbesondere sollten öffentliche Mittel für eine unabhängige Erforschung von Nano-Risiken bereitgestellt und eine Deklarationspflicht für Nanomaterialien in Konsumprodukten eingeführt werden. Denn Tierversuche hätten gezeigt, dass bestimmte Nanoröhrchen ähnlich wie Asbestfasern die Entstehung von Krebs begünstigen können.

CBG und BUND monieren zudem, dass eine Anlage dieses Ausmaßes als »Versuchsanlage« genehmigt wurde. Dadurch unterliege sie weder der Immissionschutz- noch der Störfall-Verordnung. Mögliche Risiken seien entsprechend bei der Genehmigung nicht hinreichend berücksichtigt worden. Ein Trick? Der Bayer-Konzern reibt sich derweil die Hände – und prahlt damit, die »weltgrößte Pilotanlage für Kohlenstoff-Nanoröhrchen« zu betreiben.

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