Frittenfett fürs Federvieh

Labor fand erhöhte Dioxinwerte bereits im März 2010 / Arzt stellt Strafanzeige wegen versuchten Mordes / Immer mehr Betriebe betroffen

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Im Dioxinskandal kommen neue erschreckende Details ans Licht: Ein Labor fand schon im vergangenen März Dioxin im Futterfett der schleswig-holsteinischen Firma Harles und Jentzsch. Doch die Behörden wurden nicht informiert. Auch in neuen Proben wurden wieder viel zu hohe Dioxinwerte gefunden.

Berlin (Agenturen/ND). Der Dioxinskandal eskaliert: Verseuchtes Tierfutter ist schon viel länger im Umlauf als bekannt. Zudem war die Giftdosis bei neuen Proben vom Futterfetthersteller Harles und Jentzsch knapp 78 Mal so hoch wie erlaubt. Die Bundesregierung vermutet Kriminelle am Werk. Die Verbraucher lassen zunehmend die Finger von Eiern. In den Bundesländern zieht der Skandal immer weitere Kreise. 4700 Höfe in Deutschland sind gesperrt.

Bereits im März 2010 fand ein Labor in Industriefetten der Firma Dioxinwerte, die doppelt so hoch lagen wie der Grenzwert. Die Behörden erfuhren davon jedoch nichts. Auch wenn der Höchstwert im Endprodukt wegen der Verdünnung bei der Futterherstellung bei den Proben im März wohl unterschritten wurde, hätten die Fette nicht verwendet werden dürfen, erklärte das Kieler Ministerium. Gegen die Firma ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Das niedersächsische Agrarministerium lässt prüfen, ob Fritteusenfett aus dem Ausland die Quelle für die Dioxinbelastung von Tiernahrung war. Harles und Jentzsch bekam Fett von dem Biodiesel-Hersteller Petrotec, der Reststoffe aus Imbissen und Fritteusen verarbeitet. Der Staatssekretär im niedersächsischen Umweltministerium, Friedrich-Otto Ripke (CDU), sprach am Freitag in Hannover von »kriminellen Machenschaften« – die in den Dioxinskandal verwickelten Firmen hätten möglichst viel Gewinn erzielen wollten. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) will bereits am Montag Vertreter aus Futtermittelbranche, Landwirtschaftsverbänden sowie Verbraucherschützer in Berlin treffen, sagte ihr Sprecher Holger Eichele am Freitag.

Für die Kontrolle von Lebensmitteln und Tierfutter sind die Länder zuständig. Teils haben die Länder die Prüfungen an die Kommunen übertragen – entsprechend unterschiedlich sind Kontrollstandards und -ergebnisse. Der Bund kann nur koordinierend tätig werden. Die Länder müssen ihre Prüfdaten dem Bundesverbraucherministerium melden, das einen Überblick erstellt. Bei Verstößen verantwortlich gemacht werden nur einzelne Menschen, nicht Unternehmen. Mögliche Sanktionen reichen von Bußgeldern über Geldstrafen bis zu maximal fünf Jahren Haft. In den meisten Fällen kommen die betroffenen Firmen aber um Strafen oder Bußgelder herum.

Die Verbraucherschutzinitiative Foodwatch fordert deshalb, dass routinemäßige Proben vorgeschrieben werden und die Haftung neu geregelt wird. Verbraucherschützer verlangen zudem, konsequenter betroffene Hersteller, Händler und Produkte zu nennen und höhere Anreize für die Umstellung auf Biolandwirtschaft einzuführen. Ein Arzt aus Havixbeck bei Münster habe unterdessen die Firma Harles und Jentzsch wegen schwerer Körperverletzung und versuchten Mordes aus Habgier angezeigt, bestätigte Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer einen Zeitungsbericht. Vermutlich werde das Verfahren an die Staatsanwälte in Itzehoe oder Oldenburg abgegeben, die bereits ermitteln. Dort geht es um Verstöße gegen das Lebens- und Futtermittelrecht.

In einem Appell fordern über 300 Professoren und Wissenschaftler aus ganz Deutschland den Ausstieg aus der Massentierhaltung und Konsequenzen aus dem Dioxinskandal, hieß es in einer Mitteilung des Bundes für Umwelt und Naturschutz. Sie plädieren für die Neuverteilung der Agrarsubventionen nach Tier- und Umweltschutzstandards, den Stopp von Exportsubventionen und eine bessere Kennzeichnung für Futter- und Lebensmittel. Personalien Seite 8

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