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Zehntausende an der Gedenkstätte in Friedrichsfelde

Traditionell werden am zweiten Januarwochenende Kränze und rote Nelken an den Gräbern der KPD-Mitbegründer niedergelegt

  • Aert van Riel und Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Nelkenverkauf läuft gut am Berliner S-Bahnhof Lichtenberg. »Drei Nelken für drei Euro, sechs für fünf Euro«, ruft ein Händler, der hier schon seit den frühen Morgenstunden ausharrt. Zehntausende strömen am Sonntag an seinem Stand vorbei, um wie jedes Jahr auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde die am 15. Januar 1919 von rechtsextremen Freikorps-Soldaten ermordeten Mitbegründer der KPD, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, mit roten Nelken zu ehren und ihrer still zu gedenken.

Auf dem Weg zum Friedhof spielt eine Blaskapelle die »Internationale«. Linke Parteien und Gruppierungen haben ihre Stände aufgebaut. Auf der Straße steht ein dunkelhaariger Mann mittleren Alters. Er verteilt Infomaterial über die FDJ und singt dabei: »Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront, weil du auch ein Arbeiter bist.«

Viele ältere Sozialisten nehmen schon seit Jahrzehnten traditionell an dem Gedenken teil. Doch auch einige jüngere Menschen haben sich zur Prozession eingefunden. Ein junger Vater mit Pelzkappe und roter Nelke im Knopfloch schiebt seinen Kinderwagen durch das Rondell. »Ich komme regelmäßig im Januar zur Gedenkstätte der Sozialisten«, erzählt er. »Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden zahlreiche Linke ermordet. Dies war der Auftakt zu den späteren Massenmorden der Faschisten. Es liegt in unserer Verantwortung, dass so etwas nie wieder passiert.«

Seit vier Jahren wird in Friedrichsfelde auch der Opfer des Stalinismus gedacht. Vor deren Gedenkstein liegt ein mit schwarz-rot-goldenen Schleifen geschmückter Kranz der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Der Gedenkstein ist bei vielen Teilnehmern jedoch nicht sonderlich beliebt. Sie sind der Ansicht, er sei eine antikommunistische Provokation. »Der Stein passt einfach nicht zur Gedenkstätte der Sozialisten«, empört sich etwa ein älteres Ehepaar.

Für die führenden Politiker der Linkspartei ist dagegen der Gang zum Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus ebenso wie zu den Gräbern Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs fester Bestandteil des alljährlichen Programms. Angeführt von den Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, Fraktionschef Gregor Gysi und dem ehemaligen Parteivorsitzende Oskar Lafontaine legen auch Abgeordnete der Berliner Linkspartei und der Europäischen Linken rote Nelken und Kränze nieder.

»Rosa Luxemburg war eine der wichtigsten Vertreterinnen der Arbeiterbewegung und ihr Freiheitsbegriff ist noch heute Vorbild für die Politik der LINKEN«, sagt die Parteichefin gegenüber ND. Laut Luxemburg ist Freiheit immer die Freiheit der anders Denkenden, sich zu äußern. Lötzsch hatte sich in den vergangenen Tagen mit Bezugnahme auf Rosa Luxemburg in der Tageszeitung »junge Welt« zum Kommunismus geäußert und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Entgegen kritischer Stimmen in der eigenen Partei erhält sie am Sonntag erneut Unterstützung von Ko-Parteichef Ernst. »Gesine Lötzsch ist eine gute Parteivorsitzende«, erklärt er vor Journalisten. Ernst betont jedoch auch, dass inhaltliche Diskussionen zur Politik dazugehörten.

Willi van Ooyen, Fraktionschef der LINKEN in Hessen, warnt derweil vor antikommunistischen Tendenzen in der deutschen Politik und erinnert in diesem Zusammenhang an die Berufsverbote in den 1970er Jahren. »Wir haben uns in der Bundesrepublik schon damals gegen den Antikommunismus gewehrt und werden es auch heute tun.« Er sieht die LINKE in der Tradition des Engagements unter anderem von Liebknecht und Luxemburg für Demokratie und soziale Gerechtigkeit. »Wir brauchen konkrete Maßstäbe dafür, wie die Schritte auf dem Weg zum demokratischen Sozialismus aussehen sollen«, fordert van Ooyen.

Auch einige Kilometer entfernt in Berlin-Friedrichshain werden bei der alljährlichen Luxemburg-Liebknecht-Demo anlässlich des Todestages von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Stimmen, die politische Veränderungen fordern, laut.

»Gemeinsam erinnern, gemeinsam kämpfen« heißt es auf einem Flyer, den eine junge Frau am Rande der LL-Demo verteilt. Zahlreiche linke Gruppen sowie Parteien treffen sich am Sonntagvormittag am U-Bahnhof Frankfurter Tor, um die Frankfurter Allee entlang bis zur Gedenkstätte zu laufen. Mehrere tausend Menschen sind unterwegs, darunter viele Familien, Studierende und Altlinke. Neben DKP, MLPD, SDAJ und der Linksjugend ['solid] sind Antifa-Gruppen vertreten. Von zahlreichen Lautsprecherwagen schallt Musik, hier Arbeiterkampflieder, weiter vorn singen die Umstehenden John Lennons »Give Peace a Chance«.

Mitunter hat die Demonstration Volksfestcharakter, auf einem Wagen tönt niederländischer Hip-Hop aus den Lautsprechern, gegen Ende leuchten bengalische Feuer auf. Unterbrochen wird das Musik-Getümmel von den einzelnen Parolen. Die Jugendverbände fordern eine gerechte Bildung für alle; die Kommunistische Initiative verlangt nach Sozialismus statt Kapitalismus: »Nur wir Arbeiter schaffen Werte. Wir zahlen im Kapitalismus für jede Krise!«

Wie in den vergangenen zwei Jahren bleibt die Demonstration auch dieses Mal friedlich. Das Polizeiaufgebot der begleitenden Eskorte hält sich in Grenzen.

Am Zentralfriedhof angekommen werden schließlich einzelne Transparente zusammengerollt, manch einer tauscht noch seine Fahne gegen eine rote Nelke und zieht mit dem Demonstrationszug zur Gedenkstätte.

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