Sarrazin für Bürger und Schwarzhemden

Ungestört konnte in München die Neue Rechte in öffentlichen Räumen auftreten

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie ging diesmal ohne Störungen über die öffentliche Bühne: Die Veranstaltung der rechtskonservativen Zeitschrift »Sezession», die vom »Institut für Staatspolitik« (IfS), einer Denkfabrik der Neuen Rechten, herausgegeben wird. »Sarrazin lesen«, so lautete der Titel der Podiumsdiskussion, zu der sich am Montag im Raum 0131 im Münchner Gasteig, immerhin eine städtische Kultureinrichtung, an die 80 Zuhörer einfanden.

Vor Jahren noch mussten Veranstaltungen des »Instituts für Staatspolitik« in München wegen öffentlicher Proteste gegen die Denkfabrik der Neuen Rechten abgesagt werden. Am vergangenen Montag blieb alles ruhig: Im Publikum saßen vorwiegend sarrazinaffine ältere Herrschaften aus dem Bürgertum mit anscheinend speziellen Kommunikationsdrähten zur Rechten – die Veranstaltung war im Programm des Kulturzentrums Gasteig nicht angekündigt worden. In der ersten Reihe einige blonde Schwarzhemdenträger. Auf dem Podium zwei Herren, der Publizist Götz Kubitschek und der Journalist Alexander Kissler. Zwischen Publikum und Podium wuselte ein herausgeputzter Jüngling mit Krawatte und Kamera umher – ansonsten Fotografierverbot.

Ex-Offizier und Journalist

Kubitschek (41), Ex-Oberstleutnant und Gründer des IfS, ist eine der zentralen Figuren der Neuen Rechten und Initiator der »Konservativ-Subversiven Aktion« (eine Anspielung auf die linke 68er Gruppe »Subversive Aktion»), mit der durch öffentliches Auftreten bei linken Veranstaltungen auf die eigenen Positionen aufmerksam gemacht werden soll. Er gibt auf dem Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt die Zweimonatszeitschrift »Sezession« heraus und betreibt den Kleinverlag Antaios. Die »Welt« charakterisierte ihn vor zwei Jahren so: »Kubitschek sieht auf den ersten Blick aus wie ein Öko, und so lebt er auch in einem kleinen Dorf im Süden von Sachsen-Anhalt. Er schlachtet die Hühner für die Familie, seine Frau Ellen Kositza, eine Art Claudia Schiffer der rechten Szene, züchtet das Gemüse für den Hausgebrauch. Sechs Kinder laufen umher, die fernsehfrei erzogen werden, gepunktete Kopftücher und altdeutsche Namen wie Alraune und Brunhilde tragen.«

Die andere Seite des Podiums besetzte der Journalist Alexander Kissler, der früher für die »Süddeutsche« schrieb und heute unter anderem für »Focus« schreibt. Gemeinsam haben der konservative Katholik Kissler und der Rechtspublizist Kubitschek, dass sie in der marktradikalen Zeitschrift »eigentümlich frei« publizieren. Deren Herausgeber Andre F. Lichtschlag pflegt wie seine Kollegen vom rechten Rand das Thema Untergang des Abendlandes.

In der Nr. 9 der Zeitschrift des Instituts sinnierte Redakteur Rafael Hüntelmann: »Ist die Demokratie die einzig legitime Staatsform?« und beschwert sich: »Auch die Frage, ob die politischen Systeme Westeuropas das Modell für Demokratie schlechthin sind, oder ob diese Systeme nicht bereits seit Jahrzehnten schwerwiegend entartet sind ..., darf nicht gefragt werden.« Auch hier ist viel Untergang, es »ist wohl eher von einem völligen Kollaps des Systems über kurz oder lang auszugehen. Was danach kommt, liegt in Gottes Hand.«

Späte Genugtuung

Mit derlei katholisch-konservativ-rechter Untergangs-Melodie im Rücken ging es im Münchner Ga-steig – nein, eigentlich nicht um die »Thesen« von Thilo Sarrazin. Einen Großteil der Zeit verbrachten die Diskutanten vielmehr mit der Analyse des bundesrepublikanischen »Medienkartells«, dem Sarrazin nun die Stirn geboten hätte. Immerhin, es habe eine »Ausweitung der Formulierungszone« gegeben, Begriffe wie »Ausländer« oder »Volk« hätten nun »ihren Mehltau«, ihre Ächtung verloren, so der Journalist Kissler.

Für Kubitschek, einst auch Redakteur der rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit«, ist das eine späte Genugtuung: »Wir haben das ja schon seit Jahren thematisiert«, was der »Rudeljournalismus« bis zum Wendepunkt Sarrazin verschwiegen hätte. Doch wo sich konservativer Katholik und katholischer Rechtskonservativer so einig sind, gibt es auch Differenzen. Kissler als Sozialstaatszyniker witterte in Sarrazin noch immer den alten Sozialdemokraten, der hinsichtlich der bildungsfernen Muslime auf den Sozialstaat setzt, flächendeckende Kitas und Schulbildung also – quasi der »feuchte Traum von Margot Honecker«. Kubitschek ist hier entgegen noch unentschlossen, setzt auf den Staat, will »jeden mitnehmen«, gegebenenfalls über ein »Erziehungslager«, wie er in einem früheren Interview bekannte.

Es sind vor allem diese fein ziselierten Unterschiede, die man so über die Podiumsdiskussion in München erleben durfte. Und es wurde klar, dass Sarrazin die bürgerliche Tür weit zum rechten Rand hin aufgestoßen hat.

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