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Reflexionen der Großstadt

Ungewöhnliche Ansichten der russischen Fotografin Aglaya Polomarchuk in der Alten Schmiede

  • Uta Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Ungewöhnliche Berlinperspektive
Ungewöhnliche Berlinperspektive

Kurz vor Ausgang des alten Jahres saßen wir in ihrer gemütlichen Küche in einem restaurierten Wohnhaus in der Geusenstraße. Hier wohnt sie seit dem Sommer 2010, aber im Lichtenberger Kiez schon länger – erst im Archibaldweg, dann in der Kaskelstraße. »Es gefällt mir in der Victoriastadt sehr, daher bin ich immer, wenn es erforderlich wurde, innerhalb des Kiezes umgezogen«. Die gemütliche Küche, in der wir nach russischer Art sitzen und Tee trinken, ist in Wahrheit keine Küche. »Meine Mutter und ich haben sie dazu gemacht, alle Anschlüsse verlegt, Herd und Spüle wieder angeschlossen und aus dem großen Balkonzimmer wurde Küche, Spielzimmer für den kleinen Wanya, Ess- und Arbeitsraum in einem.« Polomarchuk und ihre Mutter Olga sind Architektinnen.

Am Computer schauen wir uns die Fotografien an, die für die Ausstellung »Stadt – Land – Mensch« in der alten Schmiede in der Splittstraße vorgesehen sind. Dabei erzählt die 1970 in der russischen Stadt Klin geborene Frau aus ihren Leben, über ihr Architekturstudium in Moskau und Weißensee und wie sie zur Fotografie kam. Mit am Tisch ist der eineinhalbjährige Wanya, der auf dem Bildschirm lieber die Babuschka sehen und mit ihr sprechen möchte. Das wird aber auf den Abend verschoben.

Vorerst erscheinen Motive aus Halle an der Saale, Luxemburg, Moskau oder Berlin auf dem Bildschirm. Auch Porträts, vor allem von Freunden. Menschen und der Straßenverkehr spiegeln sich in den Türen eines Einkaufzentrums oder in den Fenstern eines Autos. Das innerstädtische Leben ist ihrer Meinung nach durch Reflexionen gut zu zeigen. »Sie drücken die Vielschichtigkeit der Stadt aus.«

Zur Fotografie ist die Architektin ernsthaft gekommen, als ein Freund ihr vor etwa 3 Jahren eine digitale Leica vermachte. »Ohne sie, mein Werkzeug, hätte ich bestimmt nicht so viel fotografiert«, meint sie heute. Schon im Studium hat sie in Weißensee einen Fotografielehrgang belegt und viel experimentiert. Aus gewöhnlichen Stecknadeln wurden damals schon ungewöhnliche Bilder. Als Architektin fotografiert sie gern Städte und Gebäude, dabei sucht sie gezielt nach ungewöhnlichen Details, wartet manchmal lange um den Effekt abzulichten, den sie sich erhofft. »Ein Hochhaus, in dem sich Vorbeieilende und Fahrräder spiegeln oder ein Auto, in dessen Scheiben Blumen und ganze Häuser zu sehen sind, das ist für mich interessant.«

Seit etwas mehr als einem Jahr stellt sie ihre Werke aus und wird nicht selten gefragt, ob es Montagen sind. Das sind sie nicht. Sie gefallen oder nicht, die abgelichteten Dinge werden sofort erkannt oder man kann mit ihnen nichts anfangen.

Die Architektin / Fotografin hat einen außergewöhnlichen Blick, mit dem sie durch Städte und Landschaften geht und dabei die Objekte für ihr »Objektiv« findet. Momente von Schattierungen, Spiegelungen, Verzerrungen und Reflexionen, farbliche Nuancen ziehen sie an und lassen ungewöhnliche Ansichten entstehen.

Mit 22 kam sie nach Berlin und hatte da schon an der Moskauer Architekturhochschule studiert. »Eigentlich war ich eine fertige Diplom-Architektin, als mich 1995 eine Freundin nach Berlin einlud«, erinnert sich Aglaya. Die Stadt gefiel ihr sofort. Dann schrieb sie sich bei der Kunsthochschule Weißensee ein und war von der Art der Lehre begeistert. Das Ergänzungsstudium schloss sie 1999 als Diplom-Ingenieurin Architektur ab. Aber schon während der Schulzeit – sie besuchte in Moskau eine englische Schule – legten die Eltern, die beide Architekten waren, wert auf eine gute Ausbildung. Neben der Schule ging die Tochter jahrelang ins experimentelle Architekturstudio für Kinder, das vom Moskauer Architekten Kirpitschow geleitet wurde. Sie absolvierte in Schottland ein Austauschsemester und arbeitete auch für einige Jahre in ihrer einstigen Heimatstadt Moskau – auch an gemeinsamen Projekten mit der Mutter.

Aber es zog sie wieder nach Berlin. »Ich liebe diese Stadt fast mehr als Moskau. Ich habe hier viele Freunde, komme mit der Freiheit und Demokratie besser zurecht und vertrage einfach die gute Berliner Luft.« Bei Ausstellungen – so z.B. im Rathaus Lichtenberg oder im Russischen Haus in der Friedrichstraße – verkauft sie selbst gestaltete Ansichtskarten. Die gefielen auch einer Mitarbeiterin von »Die Wille« gGmbH aus der Wilhelmstraße und prompt bekam sie ihren ersten Auftrag als Fotografin – eine Karte zum Jahreswechsel.

Auch mit der aktuellen Ausstellung, in der etwa 20 großformatige, überwiegend schwarz-weiße Fotografien zu sehen sind, hofft die Architektin und Fotografin auf neue Kontakte, vor allem aber auf viele Besucher, die sich auf ihre faszinierenden und überraschenden Ansichten einlassen möchten.

Vernissage am 21.Januar ,19 Uhr, Ausstellung bis 24. Februar, Alte Schmiede, Spittastr. 40, Lichtenberg, geöffnet Mo.-Fr. 9-18 Uhr sowie zu Veranstaltungen am Abend und am Wochenende

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