Plattenbau

Armin Müller Stahl »Es gibt Tage …«

  • Lesedauer: 2 Min.

Er verkörperte den Feingeist Thomas Mann ebenso überzeugend wie einen derben russischen Mafia-Boss. Die Wandlungsfähigkeit Armin Mueller-Stahls liegt wohl auch ein bisschen an seiner eigenen bewegten, geradezu filmreifen Lebensgeschichte. Ein Stück davon gibt der Schauspieler, der vor kurzem seinen 80. Geburtstag feierte, nun auf einer Plattenaufnahme preis. Das Album »Es gibt Tage ...« enthält Lieder, die Mueller-Stahl vor Jahrzehnten in der DDR schrieb. Öffentlich gesungen hat er damals nur einige davon; etliche fielen der Zensur zum Opfer. Eine Amiga-Platte gab es nie.

Eigentlich hielt Mueller-Stahl die Songs für »Schnee von gestern«. Erst seine Frau überzeugte ihn davon, dass sie nach wie vor in sein Leben und vor die Ohren des Publikums gehörten. Schließlich wandte sich Mueller-Stahl an den Jazzmusiker Günther Fischer, mit dem er schon in der DDR zusammengearbeitet hatte. Der kramte die vergilbten Notenblätter mit der Klavierbegleitung hervor. Und Mueller-Stahl fielen Takt für Takt die Melodien wieder ein, die er nur im Kopf aufbewahrt hatte.

Es gibt wohl kaum einen besseren Weg als die Kunst, um jene seltsame, skurrile Geisteswelt hinter der Mauer in die Gegenwärtigkeit zu rufen. Eine Welt, in der Poesie zum Alltag gehörte, gerade weil sie als eine Form der Weltflucht diente. Von solcher Art Poesie sind die Chansons Mueller-Stahls: kleine Kabinettstückchen, welche die Schönheit der Natur oder der angebeteten Frau feiern, aber auch anschaulich die Ängste und Hoffnungen der Menschen im DDR-Alltag beschreiben. Nach der Biermann-Ausweisung hätte er sich »am liebsten die Menschen abgewöhnt«, wie es im Titelsong der Platte heißt.

Oft genug wurden solche Botschaften nur angedeutet oder verschlüsselt. Die Lieder erinnern daran, wie gewitzt die DDR-Künstler im Erfinden von Metaphern und Gleichnissen waren. Wenn Mueller-Stahl von der Pflaume an der Spitze des Apfelbaums sang, war Walter Ulbricht gemeint.

Es geht durchaus um dunkle, traurige Themen; doch inzwischen hat der zeitliche Abstand alle Bitterkeit getilgt. Mueller-Stahl trägt die Lieder mit unprätentiösem Sprechgesang und feinem Gespür für Rhythmik vor.

Günther Fischer spielt meist unaufdringlich Klavier und steuert elegische Melodien am Saxophon bei. Dritter im Bunde ist Tobias Morgenstern am wunderbar beschwingten Akkordeon. In ausgedehnten Vor- und Nachspielen spüren die beiden Musiker den Stimmungen der Lieder nach. Die ungeschminkte Einfachheit verleiht den Songs eine zeitlose Qualität.

Antje Rößler

CD & Bonus-DVD »Es gibt Tage …« (Verve/Universal)

Konzerte: 8.2. Potsdam (Nikolaisaal), 9.2. Erfurt (Alte Oper), 11.2. Meißen (Theater Meißen), 13.2. Berlin (Admiralspalast), 28.2. Cottbus (Stadthalle).

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