Afrika freut sich auf das Weltsozialforum

Globalisierungskritiker treffen sich im westafrikanischen Senegal, wobei die Entwicklung in Nordafrika breiten Raum einnimmt

  • Odile Jolys, Dakar
  • Lesedauer: 6 Min.
Ab Sonntag wollen die Teilnehmer am Weltsozialforum in Dakar fünf Tage lang über Kritik am Kapitalismus, ein gerechteres Weltwirtschaftssystem, kriegerische Konflikte, Migration und die Rolle der Religionen diskutieren. Dabei wird es auch um die Situation in Tunesien und Ägypten gehen.

Wie viel Leute am diesjährigen Weltsozialforum (WSF) in Dakar teilnehmen werden, kann noch nicht richtig eingeschätzt werden. Die Spekulationen darüber gehen weit auseinander: Igor Georges Palakot, Webmaster des WSF in Dakar, sammelt emsig Statistiken über Online-Anmeldung und physische Anmeldung. Er meint es seien nur 8000.

Offiziell kommuniziert das WSF 50 000 Leute. Die Fluggesellschaft Air Maroc soll ihre Flüge von zwei auf vier täglich erhöht haben, um des Andrangs in die Hauptstadt Senegals Herr zu werden. Es gebe auch Absagen, meint Moctar Dia, Vize-Vorsitzender der Kommunikationskommission, weil die Flüge voll sind. Und die Hotels in Dakar seien aussichtslos ausgebucht.

500 Organisationen allein aus Senegal haben sich angemeldet, erklärte Herr Diouf vom Organisationskomitee des WSF in Dakar. »Einerseits bin ich zufrieden«, sagte er vier Tage vor dem Treffen über den Stand der Vorbereitungen, »weil alle ihr Bestes geben, anderseits gibt es noch einiges zu regeln.« »Aber das Forum wird ein Erfolg, es wird die Kräfte der Zivilgesellschaft weiter mobilisieren helfen, und ich erwarte, dass das Forum die Bevölkerung zusammenschweißt.«

Dakar entdeckt das Weltsozialforum

Langsam entdeckt die Bevölkerung Dakars, dass etwas in ihrer Stadt los ist. Banner sind in der Metropole sichtbar. Seit einer Woche laufen zudem Werbespots im Radio und Fernsehen und einige Sendungen über das WSF. Aber auf die Frage, ob sie vielleicht Lust haben, vorbei zu schauen, um eine Diskussion zu verfolgen, Filme zu sehen und ein Konzert zu hören, reagieren die Menschen auf der Straße unsicher.

vor Vorteil für das Weltsozialforum von Dakar ist es, dass das Gelände der Universität Cheick Ante Diop Studenten aus ganz Westafrika anzieht. Für Publikum ist daher gesorgt. Man möchte den Eindruck des WSF von Nairobi 2007 vermeiden, dass die lokale Bevölkerung vom Treffen der linken sozialen Bewegung ausgeschlossen sei.

Die Spannung wächst allmählich im Organisationssekretariat. Das Programm war drei Tage vor dem Auftakt nicht nur nicht gedruckt, es wurde auch noch daran gefeilt. Und einige fingen an, den Kopf zu schütteln. Über das Kommen der politischen Weltstars des südamerikanischen Kontinents ist man sich inzwischen einig: Lula da Silva, der ehemalige Präsident Brasiliens, kommt, Präsident Evo Morales aus Bolivien und Hugo Chávez aus Venezuela ebenso – quasi das Spektrum der lateinamerikanischen Regierungslinken von gemäßigt bis radikal. Ein Spektrum, wie es auch die Globalisierungskritiker widerspiegeln.

Sorgen haben die Organisatoren auch wegen der Stromausfälle, die nun täglich für mehrere Stunde Dakar plagen und für reichlich Zorn bei den Bewohnern der Stadt sorgen. Ein einziger Generator an der Uni funktioniert. Kleine Schlangen von Menschen – mehr oder weniger schnell abgefertigt – bilden sich, um sich für das Forum anzumelden.

Da ist zum Beispiel Professor Amadou Abdoulaye Diop, Senegalese aus Brasilien, der sein selbst gegründetes Institut über die afrikanische und südamerikanische Kultur beim WSF bekannt machen möchte. Das Thema Diaspora liegt ihm nah, und an solchen Veranstaltung wird er teilnehmen. Oder zwei Franzosen, Ben und Mélu, Mitte 20, die WSF mit Urlaub in Senegal verbinden wollen. Verfolgen werden sie die Debatte über die Franceafrique, jene undurchsichtige Machenschaften, die sich zwischen Frankreich und Afrika abspielen und mit denen Paris seinen Einfluss wahren will. Die Gruppe von Gewerkschaftern aus Marokko ist erfahren. Mehrere Jahre nehmen sie schon an den Weltsozialforen teil, sie organisieren eine Diskussionsrunde zu einem Gewerkschaftsthema und freuen sich über neue Kontakte.

»Es gibt jedes Mal Mut, dabei zu sein«

Sie fahren immer mit den gleichen Enthusiasmus zum WSF: »Das Erste Weltsozialforum war für mich wie eine Offenbarung«, sagt Touriya Lahrech, »ich merkte, dass ich nicht allein bin mit meinen Ansichten, dass wir viele sind, die die Welt anders haben wollen. Es gibt jedes Mal Mut, dabei zu sein.« Die Gewerkschafterin begrüßt, dass jetzt mehr Frauen bei der Organisation engagiert sind und an den Gesprächen teilnehmen. »Am Anfang war es ein Männerklub«, merkt die 60-jährige Frau an. Sie erwartet, dass viel über die Finanzkrise diskutiert wird und auch über Tunesien und Ägypten. »Bei uns in Marokko wird sich das Volk nicht erheben, meint sie, vieles hat sich verbessert und wir genießen mehr Freiheit.« Auch Youssouf, ein 38-jähriger Arbeitsloser aus Senegal, teilt diese Meinung: »Wir haben hier viele Probleme, aber wir leben nicht in einer Diktatur.«

Khalifa Diop ist Kultursoziologe. Er sitzt still da und beobachtet, wie die Menschen verschiedener Kulturen vor dem Sekretariat in Kontakt kommen, die Begrüßungen, die Gesten. Das ist sein persönliches Programm. Darüber schreibt er später einen Artikel. »Eines kann ich schon sagen, das WSF bringt bei uns ein Stück Weltöffentlichkeit«, meint er.

Viele Teilnehmer sind aus Europa und aus den verschiedenen afrikanischen Länder in Karawanen unterwegs. Langsam trudeln sie ein. Es sind Konvois, die in verschiedenen afrikanischen Ländern organisiert wurden, um gemeinsam nach Dakar zu kommen. Auf dem Weg machen sie Station, reden in Dörfern und Städten über das Forum, besonders über das Thema Migration, die die Karawanen verkörpern. Eine aus Mauretanien umfasst etwa 100 Teilnehmer. Sie haben sich selbst finanziert. Eine andere aus Marokko ist schon angekommen und kämpft mit dem Übernachtungsproblem. Und jetzt wird die größte Karawane aus Mali erwartet. Sie umfasst über tausend Menschen, die aus ganz Westafrika kommen. Begleitet wird sie von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen, wie die deutsche Organisation No Lager und einigen Journalisten.

Über Migration und Diaspora wird während des WSF viel gesprochen werden. Auf der Insel Gorée, direkt vor Dakar, arbeiten Menschen an einer Charta der Rechte der Migranten. Gorée ist ein höchst symbolischer Ort, hier fertigte man einen Teil des Sklavenhandels nach Amerika ab. Der Montag steht unter dem Thema »Afrika und Diaspora«.

Migration ist ein großes Thema

Das »Dorf der Migranten« wird der Ort sein, wo Erfahrungen ausgetauscht werden. Flüchtlinge, die in Senegal leben, Migranten, die es nach Europa oder eben nicht geschafft haben, Videos werden gezeigt. Und um zehn Uhr soll eine Demonstration durch die Straßen Dakars führen, gegen die Einwanderungspolitik unter anderem der EU. Symbolträchtig soll der Zug vor den Türen der EU-Agentur Frontex enden, die mit der Kontrolle der Außengrenzen der EU beschäftigt ist. Auch im Botschaftsviertel will man demonstrieren, aber hier wurde der Demonstrationszug nicht genehmigt.

Aber erstmals wird am Sonntag, Tag der Eröffnung gefeiert: Nach einem Zug durch die Straßen Dakars steht am Abend ein Konzert auf dem Programm. Und viele erwarten mit Freude das Auftreten des senegalischen Hip-Hop-Weltstars Awadi.

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