Verzweifelte Sehnsucht nach Erfolgserlebnissen
Trotz Trainerwechsel und Systemumstellung verliert der VfL Wolfsburg gegen Hamburg und bleibt im Tabellenkeller
Mitleid ist wohl das Letzte, was man vom Gegner will. Aber wenn alles wie immer ist, und zwar »wie immer frustrierend«, so Wolfsburgs Arne Friedrich, bleibt einem auch das nicht erspart. Man müsse den Sieg richtig einordnen, »denn wir haben beim VfL Wolfsburg gewonnen«, stellte Dennis Aogo nach dem 1:0 des Hamburger SV fehlendes Selbstvertrauen und große Verunsicherung bei den Gastgebern fest und erwartet noch weitaus schwierigere Spiele. Die Serie von Negativerlebnissen hat beim Deutschen Meister von 2009 Spuren hinterlassen: Von den letzten dreizehn Pflichtspielen konnte der VfL lediglich eins gewinnen.
Von Konzeptlosigkeit, fehlender Kontinuität auf der Trainerposition, mangelnder Einstellung der Spieler und lethargischen Auftritten der Mannschaft ist im aktuellen Stadionheft die Rede. Eine passende Beschreibung der Wolfsburger Verhältnisse, könnte man meinen. Doch unter dem Titel »Zwischen Anspruch und Wirklichkeit« wurde so der Gast aus Hamburg vorgestellt. Sicher wird auch der HSV seinen Erwartungen nicht gerecht, doch mit dem Sieg in Wolfsburg und Tabellenplatz sieben ist das Saisonziel, ein europäischer Startplatz, in greifbarer Nähe.
Zurück ins internationale Geschäft wollte auch der VfL, doch mit nur einem Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz heißt die Realität Abstiegskampf. Und das Konzept? Dafür ist seit dreizehn Monaten Dieter Hoeneß als Geschäftsführer verantwortlich. Seitdem wurden für 60 Millionen Euro neue Spieler geholt, allein sechs in diesem Winter – noch in Absprache mit Trainer Steve McClaren. Am vergangenen Montag wurde der Engländer dann entlassen, der Neue an der Seitenlinie ist dessen ehemaliger Co-Trainer Pierre Littbarski. »Ob der Zeitpunkt des Trainerwechsels der richtige war, wird sich am Saisonende zeigen«, ist sich auch Hoeneß nicht ganz sicher. Dass der vierte Coach in seiner kurzen Amtszeit in der jetzigen Situation aber der passsende ist, davon ist er überzeugt: »Er weiß, wo man jetzt ansetzen muss.«
Das Spiel gegen den HSV sollte die Wende bringen, der Stadionsprecher schwor die 30 000 Zuschauer vor dem Anpfiff auf den »Neuanfang« ein. Und der Wille alles besser zu machen, war auch über 90 Minuten zu erkennen. Die Wolfsburger nahmen mit Leidenschaft die Zweikämpfe an und liefen, bis sie Wadenkrämpfe hatten. Aber »uns haben wieder die Ideen gefehlt«, wusste auch Arne Friedrich, dass eine Torchance im ganzen Spiel eben nicht reicht. In der 40. Minute scheiterte Stürmer Grafite aus zehn Metern an Hamburgs Torwart Frank Rost. Mit jedem Wort mehr des 31-jährigen Verteidigers wurde aus Frust Verzweiflung. Alles sei egal: Wer auf der Trainerbank sitzt, die Systemfrage nach der Umstellung auf ein 4-4-2 oder das Fehlen des suspendierten Spielmachers Diego – wichtig ist nur, dass »die elf Spieler, die auf dem Platz stehen, gewinnen«, sehnt sich Friedrich nach den so wichtigen Erfolgserlebnissen. Nur die brächten Selbstvertrauen, Sicherheit und Ruhe.
»Ich bin mir immer noch sicher, dass wir mit dem Abstieg nichts tun haben werden«, vertraut Dieter Hoeneß zweckoptimistisch auf die Qualität der Spieler. Das Vertrauen der Fans hat er bereits verspielt. »Hoeneß raus«-Rufe waren schon öfter in Wolfsburg zu hören, doch so fordernd und inbrünstig wie am Sonnabend erfüllten sie noch nie die Arena. Die Frage, ob ihn das treffe und beschäftige, ließ er mit etwas Unsicherheit im Blick jedoch unbeantwortet.
Mladen Petric war sich ganz und gar nicht unsicher, als er in der 33. Minute das Tor des Tages vom Elfmeterpunkt erzielte. »Es ist mir nur ganz kurz durch den Kopf geschossen«, so der HSV-Stürmer zu seinem Verstoß gegen die ungeschriebenen Fußballgesetze. Zuvor wurde nämlich er von Wolfsburgs Verteidiger Simon Kjaer gefoult. Aber er habe sich eben gut gefühlt. So ist das eben, nach vier Siegen aus den letzten fünf Spielen. Um so etwas auch mal wieder zu erleben, ist Arne Friedrich vor dieser Saison vom Absteiger Hertha BSC nach Wolfsburg gewechselt. Etwas Mitleid kann man da schon haben.
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