- Berlin
- Berlinale am Rande
Ungezogen
Jeff Bridges hat einen Langen, Jeremy Irons einen noch Längeren. Nein, hier soll es nicht um Intim-Enthüllungen im Stile eines Keith Richards von den »Rolling Stones« über seinen Bandkumpel Mick Jagger gehen (dem ja zudem das Gegenteil attestiert wurde). Die Rede ist lediglich vom Schriftzug unter den Fotoporträts der Festivalgäste im Berlinale-Palast. An den Wänden sämtlicher Etagen hängen sie wieder, und Hobbypsychologen steht es frei, aus den Autogrammen Rückschlüsse auf den Charakter ihrer Verfasser zu ziehen.
Kompensiert Bridges also seine grimmige Miene mit einer langen Unterschrift? Wim Wenders dagegen setzt einen Krakel unter sein Bild, der sowohl eine Flagge als auch die Stirnlocke seiner grauen Popper-Frisur darstellen könnte. Der Brite Dominic Cooper, offensichtlich kein Freund von Tempolimits, unterzeichnet mit dem Spruch »Fun fun fun on the Autobahn«, während Ludivine Sagnier »viele Grüße« auf Deutsch entsendet oder Hippolyte Girardot mit Kätzchen signiert. Ethan Coen als die eine Hälfte der Coen-Brüder moniert mit dem Kringel »sp« (»spelling«, Englisch für »Rechtschreibfehler«), dass deren Name von den Veranstaltern mit einem »h« geschrieben wurde. Als größter Schelm erweist sich freilich »Margin Call«-Darsteller Paul Bettany: Der signiert gleich mit »Kevin Spacey«.
Ansonsten kann man im Berlinale-Palast auch unschönere Erfahrungen machen. Für Zuspätkommer mit Presseakkreditierung gibt es dort nur noch die wenig dankbaren Plätze im vierten Stock. Man kommt sich vor wie ein ungezogenes Kind, denn gestraft ist man da oben allemal. Die Vogelperspektive schräg auf die Leinwand herunter ist nicht nur für Menschen mit Höhenangst problematisch, sondern verzerrt auch die Proportionen. Hier bestätigt sich wieder einmal, dass der Bau eben nur ein für die Berlinale zweckentfremdetes Musical-Theater ist.
In der ersten Reihe der Balkons sind zudem Balustraden angebracht, die ein Sichthindernis darstellen und auf die sich folglich gerne aufgestützt wird. Das behindert die dahinter sitzenden Koreanisch- oder Farsi-Unkundigen jedoch beim Lesen der Untertitel. Beugt man sich also in der Not selbst vor, erntet man sofort Beschimpfungen aus der Hinterreihe oder wird gar mit einem Fußtritt in die Rückenlehne verwarnt.
Doch auch in der untersten Etage des Berlinale-Palastes gilt: Hinter Sitzriesen hat man beim Untertitel-Lesen keine Chance. Gegen die Muskelverspannungen, die das ständige Sich-Recken verursacht, könnte dann ein auflockernder Kurzspaziergang helfen – etwa zur Betrachtung oben erwähnter Porträtgalerie.
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