Der fliegende Teppich

Das Programm »Berlinale goes Kiez« bringt Premieren ins Kino von nebenan

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.
Szene aus »Vaterlandsverräter«
Szene aus »Vaterlandsverräter«

Strahlend steht sie auf dem Roten Teppich und genießt es, sich ablichten zu lassen. Doch die Frau trägt keinen teuren Gala-Fummel, ihr Lächeln ist natürlich und der Fotograf vermutlich ihr Lebensgefährte. Die Geknipste kam am Dienstagabend als Besucherin der »Berlinale goes Kiez«-Vorführung ins »Union«-Kino in Friedrichshagen – und offenbar war der Anlass ihr das Foto-Andenken wert. Denn seit das Festival im letzten Jahr sein 60. Jubiläum feierte, hält das Berlinale-Flair jetzt auch abseits der zentralen Glamour-Spielstätten in den entfernteren Bezirken der Hauptstadt Einzug.

Als eine Rückbesinnung auf das Kino um die Ecke und Aufwertung der Arbeit seiner Betreiber wurde die Aktion angelegt. Zudem sollten Berliner, für die Schlangestehen an den Ticket-Countern im Zentrum keine Option ist, ebenfalls die Chance bekommen, am Festival Teil zu haben. Aufgrund ihres großen Erfolgs im letzten Jahr wird die Reihe in diesem Jahr wiederholt und ist auf dem besten Weg, sich auf dem Festival fest zu etablieren. Sieben Spielstätten wurden von der Berlinale für 2011 gemietet, u.a. in Weißensee, Neukölln oder Steglitz, was den Kinos feste Einkunft und wichtige Publicity gleichzeitig beschert.

Aus allen Sektionen des Berlinale-Programms werden pro Kiez-Kino für jeweils einen Abend zwei Filme ausgesucht, im Anschluss an die Vorführungen gibt es Publikumsdiskussionen. Zum Auftakt von »Berlinale goes Kiez« in der »Kurbel« in Charlottenburg war für den Forums-Beitrag »En terrains connus« das komplette Filmteam anwesend. Zwar sagte der Regisseur von »Tropa de Elite 2« (Panorama) in letzter Sekunde ab, aber das sind nun einmal die Unabwägbarkeiten eines Festivals. Ausverkauft war die Veranstaltung trotzdem, und auch dort schritten die Besucher über den ca. 12 Meter langen, so genannten »Fliegenden Roten Teppich«. Am Ende des Abends wurde er wieder aufgerollt und an den nächsten Spielort, das »Toni« in Weißensee, weitergereicht, das ihn wiederum nur für einen Abend benutzte.

Matthias Elwardt, der Kurator der Reihe, erklärt, dass er darauf achtet, dass die Filme und ihre Macher auch zu den jeweiligen Kinos passen. So lief im »Union« aus der Reihe »Perspektive Deutsches Kino« der Dokumentarfilm »Vaterlandsverräter«. Die Regisseurin Annekatrin Hendel porträtiert darin den eigenwilligen Schriftsteller Paul Gratzik, der sich noch zu DDR-Zeiten öffentlich von seiner IM-Tätigkeit distanzierte und dann selbst zum Beobachtungsobjekt der Stasi wurde. Die Regisseurin und ihr Protagonist konnten sich am Abend in dem 170 Plätze fassenden Kino über viel Applaus und ein sehr engagiertes Publikum freuen.

In der »Passage« in Neukölln war am Montag die außer Konkurrenz im Wettbewerb laufende Multikulti-Komödie »Almanya-Willkommen in Deutschland« programmiert worden. Kinoleiter Gerd Müller-Eh betont den besonderen Charakter der Kiez-Vorstellungen: »Es sind reine Publikumsveranstaltungen ohne Fachbesucher. Sie können von Stammgästen wahrgenommen werden, die sehr dankbar für dieses Angebot sind.«

Für jede Veranstaltung steht ein prominenter Filmschaffender Pate und führt die Filme ein. Im »Union« war es vorgestern der Regisseur und Schauspieler Leander Haußmann. Ihm gefällt die Idee, dass die Berlinale sich öffnet und von der Elite weg an die Basis zurück geht. Praktischerweise wohnt er nicht nur in der Nähe, sondern bezeichnet die Spielstätte sogar als das Kino seiner Kindheit. Für das »Union«, das etliche Spekulanten überlebte und erst seit Ende 2003 wieder in seiner jetzigen Form betrieben wird, springe er gern ein, betonte Haußmann. Als Kind hat er dort seinen ersten Kino-Film, den DEFA-Klassiker »Die Söhne der großen Bärin« gesehen. Zwar war der junge Western-Fan enttäuscht, dass es sich »nur« um einen Indianer-Film handelte. Doch da darin ebenfalls geballert und gekämpft wurde, kam der kleine Leander damals trotzdem noch auf seine Kosten.

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