Realpolitiker und Moralist

Beachtenswerte Biografie über Olof Palme erschienen

  • Tim Fiege
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein vom Wahlkampf ermüdeter Olof Palme mit Gattin, 1985
Ein vom Wahlkampf ermüdeter Olof Palme mit Gattin, 1985

Die tödlichen Schüsse ereilten ihn am Abend des 28. Februar 1986 an der Ecke Sveavägen/Tunnelgatan in der Innenstadt von Stockholm. Olof Plame war mit seiner Frau Lisbet nach einem Kinobesuch (»Bröderna Mozart«, »Die Gebrüder Mozart«) auf dem Heimweg, als er aus nächster Nähe angeschossen wurde. Obwohl schnell in ein Krankenhaus gebracht, konnte er nicht mehr gerettet werden. Am Tatort erinnert eine Gedenktafel an das Attentat, das weltweit Entsetzen auslöste. Der schwedische Politiker ist nur 59 Jahre alt geworden.

Im Frühjahr 1946 hatte sich der 19-jährige Olof Palme auf der Kadettenschule in Skövde einer umfassenden Untersuchung zu stellen. Auf einem Fragebogen gab er in der Rubrik zur Berufswahl ganz unbescheiden an: Jurist, Dolmetscher, Sportreporter, Wissenschaftler, Schriftsteller, Reichstagsabgeordneter und Kriegsberichterstatter. Besonders erstrebenswert erschienen ihm Anwalt, Politiker und Diplomat. Dass er sich schließlich für die Politik und damit gegen Literatur, Journalismus und Forschung entschied, passte zu seinem Selbstverständnis. »Damit hatte er«, so Henrik Berggren in seiner Biografie, »der intellektuellen Freiheit entsagt, aber die Möglichkeit gewonnen, wirkliche Veränderungen in der Gesellschaft zu erreichen«.

Am 30. Januar 1927 in einer aristokratischen, elitären Familie geboren, hatte Olof Palme eine exzellente Bildung genossen. Die Lehrer lobten seine Intelligenz und Neugier, während Mitschüler ihn später als ehrgeizigen und sich überlegen fühlenden Klassenkameraden beschrieben. Seinen 15-monatigen Wehrdienst habe der spätere leidenschaftliche Kriegsgegner »mit Begeisterung« absolviert, vermerkt der Redakteur der Tageszeitung »Dagens Nyheter«. »Seine eigene Kindheit war seit seinem zwölften Lebensjahr von Krieg geprägt. Wie die meisten seiner Generation betrachtete er die Wehrpflicht als eine sinnvolle und selbstverständliche Aufgabe in einer bedrohlichen Welt.«

1947 kam er als 20-jähriger Austauschschüler ans Kenyon College nach Ohio/USA; nach dem Examen trampte er drei Monate lang durch nicht weniger als 34 der damals 48 US-Bundesstaaten. Nach den Erfahrungen mit dortigem Rassismus und sozialem Elend musste die Identifikation mit dem schwedischen Wohlfahrtsmodell geradezu zwangsläufig wachsen. Ab Sommer 1954 arbeitete der aufstrebende Jungpolitiker Palme ganztags als Assistent für Ministerpräsident Tage Erlander. Er bereitete für seinen Chef Reden vor, schrieb Protokolle und Manifeste, wertete Debatten aus und fasste internationale Publikationen zusammen. Im Herbst 1965 wurde er zum Minister für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen ernannt. Palme bezeichnete es später als sein großes Verdienst, die Kommerzialisierung des Fernsehens und Hörfunks verhindert zu haben. Für die meisten seiner Landsleute dürfte aber die – erstaunlich unfallfreie – Umstellung auf den Rechtsverkehr in Erinnerung geblieben sein. Prompt erklomm Palme am Tag danach, dem 4. September 1967, die nächste Sprosse auf der Karriereleiter: Er wurde zum Bildungsminister befördert. »Die Bildungspolitik war ein Grundpfeiler sozialdemokratischer Egalitätspolitik und berührte Themen wie Klasse, Bildung, Menschenwürde und Gedankenfreiheit in ganz anderer Weise als Eisenbahnen und Autobahnen.«

Nachdem er für alle politischen Ämter gehandelt wurde, war seine Ernennung zum Partei- und Regierungschef 1969, im Alter von nur 42 Jahren, fast folgerichtig. Palme erwies sich nicht nur als großer Visionär, sondern auch überzeugter Pragmatiker, der in seinen ersten beiden Amtszeiten als Premier (1969-1976) große Erfolge vorweisen konnte: Verringerung der Einkommensunterschiede, Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, Ausbau der Kinderbetreuungsangebote und des Kündigungsschutzes. Aber auch und vor allem außenpolitisch schärfte er sein Profil. Palme protestierte lautstark gegen den Vietnamkrieg, verurteilte den Militärputsch in Chile energisch, kritisierte unbeirrt die Macht der Militärjuntas in Spanien, Portugal und Griechenland und betonte seine Sympathie für afrikanische Befreiungsbewegungen gegen die Kolonialherrschaft. Das brachte ihm nicht nur Freunde, auch viele Feinde in rechten Kreisen ein. Nach seiner Wiederwahl im Herbst 1982 nahm die politische Gegnerschaft hasserfüllte Züge an. Die Herkunft dieses Zorns wird wohl ein »unbeantwortetes schwedisches sozialpsychologisches Problem bleiben«, schreibt der Autor.

Berggren verwebt den privaten Werdegang Palmes mit der politischen Entwicklung Schwedens. Einfühlsam, schnörkellos und stets überzeugend im Urteil porträtiert der Historiker einen romantischen Mann mit hohen moralischen Ansprüchen, der zugleich stets ein berechnender Taktiker war. Seine Sympathie, ja Bewunderung für Olof Palme versucht der Autor gar nicht erst zu verbergen. Dennoch beschleicht den Leser nie ein Zweifel an der Treffsicherheit der Einschätzungen und Interpretationen Berggrens, dessen Buch seit Monaten die schwedischen Bestseller- und Kritikercharts anführt. Rechtzeitig zum 25. Todestag Palmes ist es auch auf Deutsch erschienen.

Henrik Berggren: Olof Palme. Vor uns liegen wunderbare Tage. Die Biographie. btb Verlag München. 720 S., geb., 26,99 €. €

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