Wachstum lässt nach

In Industrieländern geht es mit der Konjunktur seit Langem bergab

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die großen Industriestaaten verzeichnen schon seit den 1970er Jahren sinkende Wirtschaftswachstumsraten. Muss dieser Trend anhalten?

»Die deutsche Wirtschaft befindet sich inzwischen fast wieder auf dem Niveau von Ende 2007«, erklärt Analyst Christian Lips von der NordLB. Dies heißt im Klartext: Trotz des 2010 verzeichneten höchsten Wachstums seit der Wiedervereinigung ist das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht. Das liegt zunächst an der Tiefe der Finanz- und Wirtschaftskrise. Doch hinter dem »fast wieder« verbirgt sich auch ein längerfristiger Trend: Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum sinkt. Seit dem Ende des »Wirtschaftswunders« in Westdeutschland mit einem Plus im Jahresschnitt von 8 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind forsche Anstiege der Wirtschaftsleistung rar geworden. In den 1980ern reichte es noch zu rund 2,5 Prozent, und nach dem Ende des DDR-Übernahme-Booms sank der Schnitt gar auf 1,7 Prozent. In der letzten Dekade von 2001 bis 2010 wuchs das preisbereinigte BIP dann nur noch um durchschnittlich 0,9 Prozent pro Jahr – trotz Rekordplus in 2010.

International kein Einzelfall: Auch in Japan, Großbritannien und USA schwächeln die Wachstumsraten. Derweil erzielen aufstrebende Staaten wie Polen und Türkei, China, Indonesien und Brasilien teilweise zweistellige Raten. Offensichtlich fällt es den großen Industrieländern zunehmend schwerer zu wachsen. Das ist zum einen reine Mathematik: Je größer eine Volkswirtschaft ist, desto weniger zählt jede neue Milliarde BIP in Promille und Prozent. Zum anderen stagniert der Kapitalismus in seinen Kernländern seit Längerem. Denn ist erst einmal die Infrastruktur von Straßen und Schulen aufgebaut, stehen Büros und Fabriken und sind Konsumgüter wie Waschmaschine und Auto in nahezu jedem Haushalt vorhanden, ist es mit weiten Wachstumssprüngen im Binnenland vorbei.

Eine Abkehr vom BIP-Konzept hält Niko Paech von der Uni Oldenburg auch aus ökologischen Gründen für dringend geboten: »Eine Zunahme des Bruttoinlandsproduktes ist nie zum ökologischen Nulltarif zu haben.« Entweder Nachhaltigkeit oder Wachstum – beides gleichzeitig gehe nicht. Mittlerweile ist diese selbst für Grüne radikale Idee einer »Postwachstumsökonomie« auch in Teilen der etablierten Ökonomik angekommen. Rund 100 Wissenschaftler haben sich in der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ) zusammengeschlossen – für eine Wirtschaft ohne Wachstum, »die gleichwohl ein gutes Leben zu führen gestattet«.

An eine Postwachstumsgesellschaft glaubt Bankanalyst Lips nicht. Er will auch den erkennbaren Trend zu sinkenden Wachstumsraten »nicht fortschreiben«. Wachstum müsse nicht unbedingt mit immer mehr Menschen und einem immer größeren Verbrauch von Rohstoffen einhergehen. »Bildung, Forschung und Entwicklung, Innovationen sind die entscheidenden Triebkräfte der zukünftigen Entwicklung.«

Als Kriterium reicht dafür das BIP allerdings nicht aus. Indikatoren für ein qualitatives Wachstum müssen es ergänzen. Kürzlich hat die EU beschlossen, unter dem Titel »BIP und mehr« einen Glücksindikator zu entwickeln, der auch Hausarbeit, Vermögensverteilung und Lebensqualität berücksichtigen soll.

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