- Wirtschaft und Umwelt
- Strafvollzug
Kritik an Haftbedingungen in Sachsen-Anhalt
Laut Gefangenen erschwert die Situation in der Justizvollzugsanstalt Burg Resozialisierung
Die Justizvollzugsanstalt Burg nahe Magdeburg machte in letzter Zeit häufiger Schlagzeilen, zuletzt, als im Frühjahr ein Inhaftierter seine Ehefrau bei einem Treffen in einem Langzeitbesuchsraum getötet haben soll. Daraufhin wurden alle Langzeitbesuche untersagt, laut Brief von Inhaftierten der Anstalt bis Ende des Jahres.
In Langzeitbesuchsräumen können Gefängnisinsass*innen über mehrere Stunden unbeaufsichtigt Zeit mit Partner*innen oder Familienangehörigen verbringen. Umgangssprachlich werden die Räume als »Liebeszelle« bezeichnet. Diese Besuche sollen vorrangig dazu dienen, Beziehungen zu Angehörigen, insbesondere Kindern, zu pflegen. Die Familie der mutmaßlich getöteten Frau kritisierte die fehlende Überwachung im Besuchsraum.
»Dass die Angehörigen angesichts ihres Verlustes die Sicherheit in Frage stellen und Kontrolle mehr Gewicht beimessen als der für Langzeitbesuche üblicherweise vorgesehenen Privatsphäre, ist absolut verständlich«, schreiben die »Gefangenen der JVA Burg«, wie sie sich selbst bezeichnen. »Anstaltsleitung und Medien sollten jedoch ein solches Ereignis nicht auf die technische Frage der Sicherheit reduzieren.« Für sie ist der Fall auch Ausdruck eines »Vollzugsversagens«.
»Nicht einmal zu versuchen, den Vollzugsalltag zu gestalten, der sich auch nüchtern ertragen lässt, ist falsch.«
Gefangene der JVA Burg
Ihnen zufolge ist das Aussetzen der Langzeitbesuche nicht die einzige »Kollektivstrafe«, die in der JVA Burg erfolgte. Auch Kräutertee würde beispielsweise an niemanden mehr ausgegeben, weil einzelne Personen Cannabisprodukte in Teebeuteln geschmuggelt hätten. »Es wäre naiv zu glauben, dass jeder Drogenkonsument durch eine bessere Gestaltung des Vollzugs die Sucht hinter sich lassen würde, aber nicht einmal zu versuchen, den Vollzugsalltag zu gestalten, der sich auch nüchtern ertragen lässt, ist falsch.«
Wie in vielen anderen Gefängnissen wurde der Betrieb der JVA Burg während der Covid-19-Pandemie minimiert. Damals wurden sowohl weniger Menschen inhaftiert als auch Freizeitaktivitäten und Arbeit hinter Gittern eingeschränkt, um Überbelegung, Kontakte und damit das Ansteckungsrisiko zu verringern. Inzwischen sind die Anstalten in einigen Bundesländern wieder zu über 90 Prozent ausgelastet.
In der JVA Burg habe das Angebot aber nicht mehr das Ausmaß von vor der Pandemie erreicht, so die Kritik der Inhaftierten. Aufgrund von Personalmangel würden demnach die Hafträume regelmäßig nicht aufgeschlossen, Sport- und Therapieangebote seien reduziert und es fehle an Möglichkeiten für Fortbildung und Arbeit.
Derlei Maßnahmen sollen im Strafvollzug dazu dienen, den Rückweg in die Gesellschaft zu erleichtern und Rückfälligkeit zu mindern. »Perspektivlosigkeit, Beschäftigungsmangel und Frust dürften ihren Anteil an Drogenkonsum und Aggression haben, mit der die Stationsbeamten täglich konfrontiert werden und deren Konsequenzen alle Gefangenen sowie Angehörigen ausbaden müssen«, schreiben die Gefangenen.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Das zuständige Justizministerium in Sachsen-Anhalt stellt eine Rückmeldung auf eine »nd«-Anfrage zu den Vorwürfen in den kommenden Tagen in Aussicht. In einer Stellungnahme zu einem weiteren anonymen Brief, der diese Woche der »Mitteldeutschen Zeitung« zugespielt worden sei und Personalmangel kritisiert haben soll, räumte das Justizministerium ein, dass »etliche Mitarbeiter dauerkrank oder dienstunfähig« seien, berichtet die Lokalzeitung.
Die JVA Burg ist mit 687 Haftplätzen das größte Gefängnis in Sachsen-Anhalt. Sie ist zuständig für den Vollzug von lebenslangen Freiheitsstrafen, jenen ab einer Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten sowie für Sicherheitsverwahrung. Das ist die Unterbringungen jener, die auch in Haft bleiben, wenn sie ihre Freiheitsstrafe verbüßt haben, weil sie als Gefahr für die Allgemeinheit eingestuft werden.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.