Versagt die EU erneut?

  • Gabi Zimmer
  • Lesedauer: 3 Min.
Brüsseler Spitzen: Versagt die EU erneut?

Die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel steigen seit zehn Monaten. 2008 führte die weltweite Hungerkrise zu zahlreichen Revolten. Mehr als eine Milliarde Menschen hungerten – ein Sechstel der Weltbevölkerung! Damals versprachen EU, USA und Weltbank konkrete Hilfen. Ein EU-Sonderfonds mit einer Milliarde Euro zur Soforthilfe wurde geschaffen. Den konkreten Ursachen für das weltweite Hungern wandten sich die Mächtigen der Welt allerdings nicht zu. Inzwischen haben die Lebensmittelpreise weltweit wieder Rekordniveau erreicht. Erneut hungern über eine Milliarde Menschen. Klimawandel, schlechte Ernten, Landaneignungen durch Konzerne und exzessive Spekulationen an den Warenterminbörsen lassen die Alarmglocken wieder schrillen. Das Europäische Parlament forderte kürzlich Kommission und Rat auf, sofort gegen den Hunger vorzugehen. Die französische Regierung hat die erste Gelegenheit verspielt, ihren G20-Vorsitz zu nutzen, um Spekulationen an Agrarrohstoffbörsen einzuhegen. Die G20-Finanzminister erwähnten die Preisanfälligkeiten bei Agrarrohstoffen nur mit einem erbärmlichen Satz!

Dabei gelten die Spekulationen mit Futures und Derivaten, die auf die zukünftige Preisentwicklung von Agrarrohstoffen setzen, als wesentliche Ursache für die enormen Preissteigerungen. Es geht um Spekulationsgewinne statt um Nahrungsmittelproduktion. Hedgefonds und Großbanken legen vermehrt Kapital an den Rohstoffmärkten an. So stieg das Kapitalvolumen von 2003 bis 2008 um das Dreißigfache. Gleichzeitig hat sich die Produktionsmenge kaum verändert. Bei der Vorstellung der EU-Rohstoffstrategie verschwieg die Kommission zunächst diesen Zusammenhang.

Hinzu kommt die steigende Produktion von Biokraftstoffen. Die EU-Energiestrategie gibt den Mitgliedstaaten vor, zehn Prozent ihrer im Verkehrssektor genutzten Kraftstoffe aus Agrarrohstoffen herzustellen. In Deutschland ist seit Kurzem das E10-Benzin an Tankstellen erhältlich. Die weltweiten Nutzflächen werden nun für Lebensmittel und Biosprit gebraucht. Die Konkurrenz um die Flächen lässt die Preise steigen, die Ärmsten verlieren wieder. Zusätzlich kommt es zu groß angelegten Landaneignungen in Entwicklungsländern. Agrarflächen werden von transnationalen Unternehmen gekauft oder gepachtet, Kleinbauern verlieren ihre Existenzgrundlage. Lokale Produktion wird zusätzlich zerstört, weil die EU-Agrarpolitik fördert, dass hiesige Agrarprodukte zu Dumpingpreisen in Entwicklungsländer exportiert werden.

Der Kampf gegen den weltweiten Hunger ist komplex. Das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität ist ein grundlegendes Menschenrecht. Solange aber die Regierenden der Welt dem Kampf gegen Hunger und Unterernährung nicht oberste Priorität verleihen und ihre Strategien zur Rohstoffversorgung, zum Handel oder die EU-Agrarpolitik nicht auf dieses Ziel ausrichten, sterben weiter täglich tausende Menschen. Als Parlamentsberichterstatterin zum Thema Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern bin ich mir mit zahlreichen Organisationen einig, dass exzessive Spekulation auf Agrarrohstoffe durch knallharte Regeln beendet werden muss. Ich erwarte von den Mitgliedsländern und der EU, dass sie konkrete Verantwortung in internationalen Verhandlungen übernehmen, um zu verbindlichen und transparenten Regelungen zu kommen. Ein neuerliches Versagen der EU muss als aktive Verletzung von Menschenrechten, deren Unteilbarkeit auch die Regierenden immer wieder beschwören, betrachtet werden.

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