Was hat Hamburgs neues Wahlrecht gebracht?

  • Folke Havekost
  • Lesedauer: 3 Min.
Während in Hamburg über Vor- und Nachteile des neuen Mehrstimmen-Wahlrechts diskutiert wird, veröffentlichte Landeswahlleiter Willi Beiß detaillierte Zahlen zur Abstimmung am vergangenen Sonntag.
Die Wahlbeteiligung in Hamburg ist auf das Rekordtief von 57,8 Prozent (2008: 63,5 Prozent) gesunken, zudem waren 3,1 Prozent der Stimmzettel ungültig. Im Stadtteil Billbrook wählten nur noch 26,1 Prozent der Berechtigten. »Im Vergleich zur Bürgerschaftswahl 2008 haben sich die Unterschiede zwischen statushohen und statusniedrigen Stadtteilen noch verstärkt«, stellte Landeswahlleiter Beiß bei der Vorstellung des vorläufigen amtlichen Endergebnisses fest. »So geht die niedrige Wahlbeteiligung in sozialschwächeren Stadtgebieten noch weiter zurück als in sozialstärkeren Stadtteilen.« Je nachdem, ob Durchschnittseinkommen oder Transferleistungsquote zugrunde liegen, sinkt die Beteiligung in benachteiligten Stadtteilen zwischen 45 und 49 Prozent. In bessergestellten Vierteln liegt sie bei 72 Prozent.

Ob dies am Wahlrecht liegt, bleibt umstritten. »Der Rückgang der Wahlbeteiligung ist sicher nicht allein durch die öffentliche Diskussion über eine zu große Komplexität des neuen Wahlrechts zu erklären«, meint Hans-Jürgen Hoffmann vom Meinungsforschungsinstitut psephos: »Ein Rolle spielen auch der allgemeine Trend rückläufiger Wahlbeteiligung sowie die politische Stimmung, woraus manche den Schluss gezogen haben, die Wahl sei gelaufen.«

Stärkste Bastion der Wahlsiegerin SPD ist der alte Arbeiterstadtteil Lurup, in dem die Partei von Olaf Scholz 59,5 Prozent erreichte. Selbst in Nienstedten, dem Stadtteil mit dem höchsten Pro-Kopf-Steueraufkommen, lag die SPD (34,7) knapp vor der CDU (31,8). Allein in den beiden ländlichen Stadtteilen Tatenberg und Spadenland ist die CDU noch stärkste Partei. Grüne (24,9 Prozent in der Sternschanze) und FDP (18.2 Prozent in Blankenese) reüssierten in ihren klassischen Hochburgen. Die LINKE erzielte ihr bestes Ergebnis in St. Pauli, wo sie sich von 15 auf 20,1 Prozent steigerte. Gewinne gab es auch in der HafenCity, wo sie ihren Anteil von 0,4 auf 1,1 Prozent erhöhen konnte.

Jeder siebte Hamburger nutzte die Möglichkeit, mit seinen insgesamt zehn Stimmen verschiedene Parteien zu wählen. »Je näher der Wahltermin heranrückte, umso weniger hatten die Wahlberechtigten die Absicht zu panaschieren«, beobachtete Matthias Jung, Leiter der Forschungsgruppe Wahlen. Markante Unterschiede in der Besetzung der Bürgerschaft ergaben sich durch die Bevorzugung einzelner Kandidaten. Während 53 Prozent der Stimmen auf Parteilisten entfielen, wurden immerhin 47 Prozent an einzelne Kandidaten verteilt. Vor allem SPD-Wähler beförderten gerne hinten gelistete Kandidaten ins Parlament. Prominentes Opfer war der Wirtschaftsexperte Thomas Böwer, der im Wahlkreis Lokstedt gegen Sabine Steppat verlor.

74 Männer und 47 Frauen sitzen im Landesparlament. Eklatant ist der Männerüberschuss bei der Wahlverliererin CDU, bei der nur jeder siebte Abgeordnete weiblich ist. Damit sitzen für die LINKE (5) mehr Frauen in der Bürgerschaft als für die CDU (4). Jüngste Abgeordnete ist die 21-jährige Annkathrin Kammeyer (SPD) – eine von 54 Politikern, die bisher nicht im Parlament vertreten Ein »Neuling« wird sogar Alterspräsident: Das 71-jährige SPD-Urgestein Jan Ehlers, von 1978 bis 1988 Sozialsenator, schaffte ein erstaunliches Comeback und zieht in die Bürgerschaft ein, die er 2004 verlassen hatte. Auch eine vergleichsweise neue Partei konnte einen kleinen Erfolg verzeichnen: Bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen, bei denen eine Drei-Prozent-Hürde gilt, zog die Piratenpartei mit 4,7 Prozent der Stimmen in die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte.
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