600 Linksradikale, 300 gewaltbereit

Innenminister sieht zunehmende Schwierigkeiten mit der Szene / Hauptproblem bleiben Neonazis

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Die linksradikale Szene macht sich in Brandenburg bemerkbar. Die Anhänger werden nach Angaben von Innenminister Dietmar Woidke (SPD) »zunehmend unberechenbarer«. Auf eine parlamentarische Anfrage der CDU hin legte Woidke die Entwicklung aus seinem Blickwinkel dar: Demnach scheine sich – vermittelt durch eine linksradikale Musikszene – »eine Subkultur zu bilden, die von Entideologisierung, undefinierten Hassgefühlen und Gewaltgeneigtheit geprägt ist«.

Dabei werden laut Woidke fehlende theoretische Grundlagen durch eine Gewaltbereitschaft ersetzt, die sich gegen den Repressionsapparat und den politischen Gegner spontan oder in geplanten Einzelaktionen entlädt. Trotz verschiedener »Vernetzungsbemühungen« seien alle Versuche, dauerhafte überregionale Strukturen zu errichten, gescheitert, weil der autonome Charakter einer Unterordnung in organisierte Netzwerke widerspreche. Das unterscheide die linksextreme Szene vom Rechtsextremismus, der neben lockeren Gruppen immer auch Strukturen ausbilde, in denen »Disziplin herrscht«.

Ein eigenständiges Feld scheint Brandenburg für den Linksextremismus nicht zu sein. Gruppen aus Südbrandenburg haben Woidke zufolge eher Kontakt zu Sachsen. Im Berliner Speckgürtel liege es nahe, Veranstaltungen der zahlenmäßig weit größeren und besser organisierten Szene in der Hauptstadt aufzusuchen. Von den etwa 600 als linksextrem eingestuften Personen in Brandenburg werden rund 300 der gewaltbereiten Szene zugerechnet. Von ihnen sind in den Jahren 2009 und 2010 insgesamt 56 politisch motivierte Straftaten verübt worden.

Die Szene unterliegt laut Woidke einem »deutlichen inhaltlichen Wandel«. In der Vergangenheit sei sie vom »herkömmlichen Typ des Autonomen« dominiert gewesen. Inzwischen entwickelten sich diverse Klubs und Vereine zu Kristallisationspunkten. Dort finden linksradikale eingestellte Menschen Anlaufstellen, erklärte der Minister. Linksradikale in Brandenburg sind nach seiner Darstellung bemüht, über den Kampf gegen den Rechtsextremismus und vor allem über die Jugendarbeit vermehrt Anschluss an die demokratische Zivilgesellschaft und deren Fördermittel zu finden.

Inzwischen habe sich der Charakter linksextremistischer Gewalt verändert, fuhr der Minister fort. »Während sich klassische Organisationsstrukturen auflösen, steigt das Maß an erlebnisorientierter, gelegentlicher und ideologisch kaum unterfütterter Mobilisierung.«

Woidke berief sich auf den Verfassungsschutz, als er fünf einschlägige Musikbands nannte: »Die Visitors« (Brandenburg/Havel), »Klartext« (Eberswalde), »Krachakne«, »Todschick Gekleidet« (Guben), »Zusammenrottung« (Hennigsdorf) und »Wicked Wold« (Potsdam). Diese Gruppen »wollten in Fürstenwalde, Strausberg, Eberswalde, Neuruppin, Luckenwalde, Guben, Potsdam und Lauchhammer auftreten beziehungsweise sind dort aufgetreten«.

Der Verfassungsschutz leiste auf vielfältige Art und Weise Präventionsarbeit gegen den Linksextremismus, erklärte der Minister. Dieses Thema sei Bestandteil der Vorträge an Schulen. Als Beispiel für linksradikale Musik führte der Minister ein Lied von »Krachakne« an. Die Gruppe hat es wegen des Verdachts, zu Gewalt und Straftaten aufzurufen, mit der Justiz zu tun bekommen. Der Minister zitierte einen Text: »Erster Mai, alles brennt, auch schön wie dieser Wichser rennt, dieser kleine miese Bulle, zu ihm fliegt gleich die erste Pulle. Die Polizei dein Freund und Helfer, knall sie ab und hilf dir selber.« Die Verhandlung gegen die Gruppe habe am 19. Januar vor dem Amtsgericht Neuruppin begonnen.

Das Hauptproblem in Brandenburg bleibt aber unangefochten der Rechtsextremismus, auch wenn inzwischen die DVU nicht mehr im Landtag sitzt. Der Verfassungsschutz beziffert das rechtsextreme Potenzial mit 1230 Personen. Allein in einem einzigen Monat, dem Januar 2010, wurden 52 rechtsmotivierte Straftaten verübt. Der Verfassungsschutzbericht für das komplette Jahr liegt noch nicht vor. Die Zahl lediglich der rechtsextremen Gewaltdelikte liegt deutlich höher als die Zahl aller links motivierten Straftaten.

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