Club der Schwarzfahrer
Oldtimerfans sammeln Bestatterfahrzeuge
Einen Leichenwagen privat als Dienstwagen zu nutzen ist unzumutbar, entschieden im Herbst 2010 die Richter am Kölner Landesarbeitsgericht. Einem Angestellten eines Bestattungsunternehmens war für private Fahrten ein Dienstwagen zugesagt worden. Als der Mitarbeiter erfuhr, dass es sich hierbei um einen Leichenwagen handeln sollte, wehrte er sich und bekam Recht. Es sei dem Angestellten nicht zumutbar, ein solches Fahrzeug für sich und seine Familie in seiner Freizeit privat zu nutzen, stellten die Richter klar.
Nicht alle Autofahrer teilen die Sicht der Kölner Richter. Viele Oldtimerfreunde genießen es, in ihrer Freizeit in ehemaligen Bestattungsfahrzeugen herumzufahren. »Inzwischen haben diese Fahrzeuge ihren Platz in der Oldtimerszene gefunden«, erklärt Jona Emanuel von Sydow, seit 2005 Vorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) für den Erhalt historischer Bestattungsfahrzeuge. So kamen im September 2010 im fränkischen Kurort Bad Brückenau Liebhaber historischer Bestattungsfahrzeuge zusammen. Fahrzeuge der Marken Opel, Volvo, Mercedes-Benz und Cadillac brachen zu einer gemeinsamen Rundfahrt auf.
Spiegelbild der Epoche
Bestattungsfahrzeuge unterliegen dem Wandel der Zeit, sie sind ein Spiegelbild der Epoche, in der sie zum Einsatz kamen. Ein neuwertiges, gut ausgestattetes Fahrzeug, entstanden aus einer Luxuslimousine, kostet in der Anschaffung zwischen 80 000 und 100 000 Euro. Die Fahrzeuge werden in der Regel 20 bis 30 Jahre für Beerdigungsfahrten und Überführungen genutzt. Danach ist ihre Zukunft ungewiss.
»Wir suchen die am besten erhaltenen Fahrzeuge und hegen, pflegen und vermitteln sie. Wir präsentieren sie bei ›Tagen der offenen Tür‹ von Bestattern und stellen sie bei Bedarf auch für Filmaufnahmen zur Verfügung«, berichtet von Sydow. Die Interessengemeinschaft gründete sich 1985 im Ruhrgebiet. Zu ihren Mitgliedern zählen neben privaten Oldtimerliebhabern auch hauptberufliche Bestatter. »Uns liegt der Erhalt der Fahrzeuge am Herzen«, betont von Sydow. Die Gemeinschaft habe sich zum Ziel gesetzt, ein Stück Bestattungskultur zu bewahren.
Einmal jährlich organisiert die Interessengemeinschaft ihr legendäres Schwarzfahrertreffen, damit ist die bundesweite Zusammenkunft der historischen Bestattungsfahrzeuge gemeint. 19 dieser Fahrzeugtreffen hat es bereits gegeben.
Die Faszination von Bestattungsfahrzeugen liegt für Markus Schnupp, Buchbinder aus Neu Ulm, in deren Exklusivität. Von Schnupps Leichenwagen, einem Cadillac, Modell Fleetwood, Baujahr 1971, wurden in den gesamten USA lediglich 68 Modelle hergestellt. Als Umzugsfahrzeug würde Schnupp Freunden seinen Cadillac nicht zur Verfügung stellen, die Gefahr, dass das Fahrzeug beschädigt würde, ist ihm zu groß.
Daniel Schröder, Software-Entwickler aus München, sieht das anders. Er ist Besitzer von fünf Oldtimern, darunter ein Hochzeits- und ein Leichenwagen, beide Marke Cadillac. »Meine Bekannten und Freunde«, erklärt Schröder, »freuen sich immer, wenn ich sie mal mit der Kutsche zum Einkaufen fahre.«
Transporter für Hardrocker
Auch der Mainzer Hobby-Schrauber mit Künstlernamen »KLE« kennt keine Berührungsängste mit Bestattungsfahrzeugen. Er ist Besitzer eines Bestattungsanhängers, Marke Westfalia, aus dem Jahr 1964. Den hat er sich zum Miniwohnwagen umgebaut, mit einer Matratze in der Größe und Form der Bodenplatte. »Ich benutze ihn gern als Übernachtungsmöglichkeit bei Oldtimertreffen«, erläutert KLE völlig frei von pietistischen Rücksichtnahmen.
Ähnlich pragmatisch verhielt sich das Wittener Rock-Trio Franz K. bereits in den 70er Jahren. Ein schwarzer Opel-Blitz-Leichenwagen war ihr Markenzeichen und diente der Hardrock-Combo als Tourbus. Wenn der schwarze Opel-Blitz-Leichenwagen vor Diskotheken oder Musik-Clubs stand, dachte niemand an Trauer, sondern an Partystimmung und Ausgelassenheit.
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