Expertinnen gegen Schröder

Wissenschaftlerinnen forderten die Umsetzung ihres Gutachtens zum Gleichstellungsbericht

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bundesregierung arbeitet noch immer an einer Stellungnahme zum Gleichstellungsbericht. Währenddessen warben Wissenschaftlerinnen, die den Bericht verfasst haben, am Frauentag für ihre Empfehlungen.

Mit besonderer Freude trugen zwei Gutachterinnen des ersten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung die Ergebnisse ihrer Arbeit am 100. Jahrestag des Internationalen Frauentages am späten Dienstagnachmittag ihrem Publikum vor. Die Juristin Margarete Schuler-Harms von der Universität der Bundeswehr in Hamburg und die Soziologin Uta Meier-Gräwe, tätig an der Justus-Liebig-Universität Gießen, sprachen auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung vor etwa 150 Interessierten, von denen mindestens 80 Prozent Frauen waren. Dabei ernteten die Wissenschaftlerinnen endlich die Zustimmung, die ihnen nach eigener Aussage von der Bundesregierung bisher verwehrt bleibt. Die Professorinnen beklagten, dass ihr Gutachten für den Gleichstellungsbericht vom Bundesfamilienministerium nicht gewürdigt werde. Als die insgesamt sieben Mitglieder der Kommission Ende Januar dem Ministerium ihr knapp 230 Seiten umfassendes Papier vorlegten, nahm es lediglich der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues entgegen. Ministerin Kristina Schröder habe das Gutachten nicht »abgenommen«, betonte die Professorin Meier-Gräwe.

In der Tat lässt sich die Bundesregierung mit ihrer Stellungnahme Zeit. Erst mit dieser gilt der Gleichstellungsbericht als vollständig. Einen Termin für die Fertigstellung konnte ein Sprecher des Familienministeriums nicht nennen. Doch bis Ende März will man ihre Erarbeitung abschließen.

Dass die Bundesregierung Zeit braucht, ist nicht verwunderlich, sprechen die Ergebnisse der Gutachter doch gegen die politische Linie insbesondere der derzeit amtierenden Ministerin Schröder. Denn die Experten fordern einen Paradigmenwechsel in der Gleichstellungspolitik. Die angeforderten »handlungsorientierten Empfehlungen für die Lebensperspektiven von Frau und Mann« sehen etwa die Abschaffung des Ehegattensplittings und der Minijobs, den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten und eine Geschlechterquote für Aufsichtsräte vor.

Das Gutachten zum Gleichstellungsbericht geht aber noch weiter. Analysiert wurden die Bereiche Lebensläufe, Rollenbilder, Bildung, Erwerbsarbeit, Zeitverwendung und soziale Sicherung von Frauen und Männern im Alter. Zu den zwei Schwerpunkten Lebensläufe und Rollenbilder sprachen die jeweiligen Expertinnen am Dienstag. Meier-Gräwe betonte dabei, dass Frauen im Erwerbsleben benachteiligt seien, weil sie in Sackgassen gedrängt werden. Nach einer beruflichen Auszeit sei der Wiedereinstieg in die Arbeitswelt schwer. Unterbrechungen führten dabei auch zu finanziellen Einbußen – sei es aufgrund einer geringeren Bezahlung oder einer geringeren Arbeitszeit. Im gesamten Lebensverlauf liege der Verdienst von Frauen daher um 58 Prozent unter dem der Männer. Gut ausgebildete Frauen nicht ihrer Qualifikation entsprechend wieder einzustellen, sei laut Meier-Gräwe aber eine »Vergeudung von volkswirtschaftlichen Ressourcen«.

Noch immer würden »Fehlanreize« gesetzt, die dazu führen, dass Frauen und Männer in Beziehungen in alte Rollenbilder zurückfallen. Und dies tun sie heute sogar stärker als noch vor zwanzig Jahren, wie die Soziologin herausfand. Frauen würden sich für die Betreuung ihrer Kinder heute mehr Zeit nehmen und diese weniger im Beruf verbringen als noch Statistiken von 1991/92 ausweisen. »Deshalb müssen private Angelegenheiten wie die Aufteilung von Hausarbeit und Kindererziehung öffentlich diskutiert werden«, so Meier-Gräwe. Die Soziologin warnte zugleich, etwa Pflegearbeit »wegzudelegieren«.

Die Juristin Schuler-Harms machte deutlich, dass Rollenbilder zu Recht Auswirkungen auf die Lebensläufe von Mann und Frau und ihr soziales Umfeld haben. Zwar nehme seit 1990 die Stereotypisierung ab, aber eine Gleichstellung nach dem EU-Gleichstellungsgebot sei längst noch nicht erreicht. Dazu müsse beispielsweise auch die Witwenrente abgeschafft werden. Weiterhin müsse auch Frauen ermöglicht werden, in ihrem beruflichen Leben durchgehend erwerbstätig zu sein, etwa durch die Flexibilisierung von Arbeitszeit. Zur Frauenquote sagte die Juristin nur so viel: »So lange keine Gleichstellung erreicht ist, ist eine Bevorteilung von Frauen erlaubt.« Diese Aussage dürfte die Familienministerin nicht freuen. Erst am Frauentag betonte Schröder, dass sie eine festgelegte Quote weiter ablehnt.

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