Aasgeier und Zeilenschinder

MEDIENgedanken: Journalisten genießen keinen guten Ruf

  • Eckart Roloff
  • Lesedauer: 4 Min.

Mal werden sie geliebt und mal gehasst: Journalisten. Wenn sie toll schreiben, nennt man sie Edelfedern. Oder Starautoren. Oder Schreibgenies. Ein paar weitere positive Prädikate mag es geben, doch viel häufiger ist das, was unter die philologische Abteilung Berufsschelte fällt. Die gibt es für alle möglichen Professionen. Da werden aus Rechtsanwälten Winkeladvokaten, aus Beamten Paragrafenhengste, aus Investoren Finanzhaie und aus Psychologen Seelenklempner.

Für Journalisten kennt man besonders viele Synonyme, die alles andere als schmeichelhaft sind. Da gehören parallel zu den Beamten die Pressehengste (oder Presseheinis) noch zur fast harmlosen Sorte, ähnlich wie der Schreiberling, der Griffelspitzer oder, eher berlingetönt, der Pressefritze; der meint aber auch den Zeitungshändler am viel zitierten Kiosk an der Ecke. Überliefert sind ebenso Ausdrücke wie Tintenkuli und, als Folge des schnellen und vielen Schreibens, Zeitungsschmierer und Schmierfink. Mit dem ist allerdings nicht nur der böse, nach Sensation, Übertreibung und Verleumdung gierende Journalist gemeint, sondern im ästhetischen Sinn ein schmieriger und schmutziger Mensch allgemein. Einen besonderen Aspekt betont das Schimpfwort Zeilenschinder (englisch pennya-liner). Das ist einer, der seine Geschichte möglichst auswalzt und viele unwichtige Details anhäuft, weil er ja nach Zeilen bezahlt wird. Das aber ist eine aussterbende Spezies, da heutige Redaktionen gut darauf trainiert sind, Überflüssiges zu streichen. Ganz abgesehen davon, dass die Zeilenhonorare meist nicht so berauschend sind, wie das Publikum glauben mag.

Es gibt noch etliche weitere Stücke aus der Kollektion der journalistischen Beschimpfungen, wie sie vor allem der Germanist Heinz Küpper seit den 1960er Jahren sammelte. Im Band IV (»Berufsschelten und Verwandtes«) seines Wörterbuchs der deutschen Umgangssprache sind sie nachzulesen. Da ist zum Beispiel der Aasgeier, der sich laut Küpper »auf peinliche gesellschaftliche Vorkommnisse wie ein Geier auf das Aas stürzt«; da findet sich aus dem Tierreich aber auch die Blattwanze und die Blattlaus; sie soll die Arbeit für die Presse, für ein Blatt, als schädlich, lästig und schmarotzend kennzeichnen. Um 1800 sprach man auch vom Federvieh, und später mokierte sich Reichskanzler Bismarck über die Pressbengels in den Redaktionen. Überliefert sind ferner unfreundliche Zuschreibungen wie Federbandit, Asphaltjournalist und Revolverjournalist (tätig natürlich beim Revolverblatt).

Woher stammen solche Begriffe, wer setzt sie in die Welt? Küpper hat dazu dies mitgeteilt: »Im Ersinnen von Berufsschelten bringen manche Menschen es zur Meisterschaft: Rasch fällt ihnen ein mehr oder minder geistvolles Wortspiel ein, eine kleine Vertauschung von Buchstaben oder Silben«, gern werden – siehe Aas, Hengst und Wanze – »Tiernamen auf den Berufstätigen übertragen.« Auch werde häufig »ein berufsübliches Arbeitsgerät vom Spitznamenbastler herausgegriffen«, bei Journalisten ist (oder besser war) das die Feder.

Küpper berichtete für seine Sammlung, dass daran »mehr als 700 Zeitgenossen« beteiligt waren, zudem sah er sich die Fachliteratur und etliche Romane genau an. Zu den Schöpfern der Berufsschelte zählen natürlich auch die Journalisten selbst, ebenso Schriftsteller und Kabarettisten – und Politiker, etwa wenn sie (wie Altkanzler Helmut Schmidt) diese oft unerwünschten, lästigen Beobachter ihres Tuns als Wegelagerer verhöhnen. Arthur Schopenhauer hatte für Journalisten nur das Wort Tagelöhner übrig.

Noch manch andere Schimpfwörter für Journalisten hat Heinz Küpper mit seinen vielen Zuträgern aufgespürt, darunter freilich auch wenig einfallsreiche und übliche, so das Pressegesindel, den Pressestrolch, die Schreiberseele (nicht unbedingt negativ zu verstehen), den Silbenkneter, Klatschspalter und Tintenkleckser. Mit Presselöwe, Pressezar und Zeitungscäsar sind speziell die Besitzer großer Verlage gemeint, die Magnaten mit ihren Monopolen – einer der bekanntesten des 20. Jahrhunderts, Axel Springer, hieß mit zweitem Vornamen tatsächlich Cäsar.

Eine alte Metapher dieses Gewerbes ist der Schmock, übernommen aus einer negativ gezeichneten Figur in Gustav Freytags Lustspiel »Die Journalisten», das seit 1854 auf die Bühne kam (1961 wurde es verfilmt). Dieser Schmock ist ein Gefälligkeitsschreiber ohne Rückgrat und Gesinnung; er verbreitet jede Meinung, je nachdem, wer ihn dafür wie gut bezahlt. In diesem Stück kommt auch der treffend ambivalente Satz vor: »Alle Welt klagt über den Journalismus, und jeder möchte ihn für sich benutzen.« Freytag hatte übrigens selbst reichlich Redaktionserfahrung: Er gab von 1848 an viele Jahre lang in Leipzig die kritische und einflussreiche Wochenschrift »Die Grenzboten« heraus.

Wird über Journalisten nur gelästert und geschimpft? Nein, es gibt auch Freundlichkeiten. Eine hat sich der Schweizer Publizist Markus M. Ronner ausgedacht. Er fragt: »Was haben begabte Journalisten mit Spechten gemeinsam? Wenn sie auf etwas pochen, ist meistens der Wurm drin.« Eine kluge Ehrenrettung des Standes geht auf den dritten US-Präsidenten Thomas Jefferson (1743-1826) zurück. Er stellte fest: »Wenn ich zu entscheiden hätte, ob wir eine Regierung ohne Zeitungen oder Zeitungen ohne Regierung haben sollten, würde ich ohne Zögern das Letztere vorziehen.«

Der Autor ist Journalist und Medienforscher und lebt in Bonn.

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