»Japaner verarbeiten die Katastrophe innerlich«

Der Journalist Masao Fukumoto über Mentalitäten und AKW-Gegner in seinem Heimatland

  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Fukumoto, Sie leben und arbeiten als freier Journalist in Deutschland. Wie haben Sie aus der Ferne die Katastrophe in Japan in den letzten Tagen erlebt?

Ich habe davon aus dem Internet erfahren. Dann habe ich versucht, meine Familie in Japan zu erreichen. Meine Mutter wohnt westlich von Tokio, dort ist es noch nicht so schlimm. Die Familie meiner Frau wohnt in Tokio. Dorthin gab es zwischenzeitlich telefonische Verbindungsprobleme.

Die meisten Japaner in den Katastrophengebieten scheinen relativ ruhig zu bleiben. Wie lässt sich das erklären? Haben die Reaktionen der Betroffenen auch etwas mit der Mentalität zu tun?

Selbstverständlich. Ich lebe jetzt knapp 26 Jahre in Deutschland. Nach meinen Erfahrungen reagieren Europäer in Krisensituationen stärker nach außen. Die Japaner verarbeiten so etwas meist innerlich. Dadurch wirken sie scheinbar gelassener. Man kann sich so besser auf die nächsten Schritte vorbereiten, als wenn man panisch reagiert.

Spielt die Erinnerung an die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 eine Rolle beim Umgang der Menschen mit der Katastrophe?

Das kann ich nicht genau beurteilen. Denn viele Japaner, die die Atombombenabwürfe miterlebt haben, leben heute nicht mehr. Und aus der Erinnerung werden nicht immer die gleichen Schlüsse gezogen. Es gibt zwei Organisationen, die die Opfer von Hiroshima und Nagasaki unterstützen, deren Einstellungen zur Kernenergie unterschiedlich sind. »Gensuikyo«, die der Kommunistischen Partei nahe steht, ist für die Nutzung der Kernenergie, und »Gensuikin«, die von Gewerkschaften, Demokraten und Sozialdemokraten unterstützt wird, dagegen.

2007 hatte es durch ein Erdbeben einen Zwischenfall im AKW Kashiwazaki-Kariwa gegeben. Zudem soll laut Wikileaks die Internationale Atomenergiebehörde IAEA im Dezember 2008 auf Probleme bei der Erdbebensicherheit hingewiesen haben. Wurde die Sicherheitsfrage auch in der japanischen Öffentlichkeit diskutiert?

Natürlich hat man darüber diskutiert. Einige Atomkraftgegner haben damals herausgefunden, dass der Energiekonzern Tepco Informationen über den Austritt von Radioaktivität verfälscht hat. Als Folge wurde der bis 2007 eher niedrige Sicherheitsstandard gegen Erdbeben erhöht. Einige Konstruktionen wurden verstärkt.

Wie kritisch sind die Japaner generell gegenüber der Kernenergie?

Menschen wie ich, die gegen die Nutzung der Kernenergie sind, sind in Japan in der Minderheit. Die Anti-AKW-Bewegung in Japan ist von ihrer Größe her nicht mit der deutschen vergleichbar. Es gibt aber einige Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace und einen Teil der demokratischen und sozialdemokratischen Politiker, die sich gegen die Kernenergie einsetzen.

Japan hat bisher massiv auf Kernenergie gesetzt. Ist dort eine Energiepolitik ohne Atomstrom überhaupt vorstellbar?

Eine Diskussion, wie sie derzeit in Deutschland über die Nutzung der Kernenergie geführt wird, gibt es in Japan noch nicht. Dies ist auch der momentan extremen Situation geschuldet. Erst wenn sich die Lage hoffentlich beruhigt hat, kann man darüber sprechen.

Sie haben in den vergangenen Tagen sowohl die deutsche als auch die japanische Berichterstattung verfolgt.

Dabei gab es einige Missverständnisse. Es wurden zunächst nicht, wie in Deutschland anfangs berichtet, vier Alarme ausgelöst, sondern nur einer in Fukushima. Dann gab es eine erhöhte Radioaktivität in dem nördlich gelegenen AKW Onagawa. Das war ein meldepflichtiges Ereignis. Aber es wurde hier erst später darüber berichtet, dass das auf die Freisetzung der Radioaktivität aus Fukushima zurückzuführen war. Deutsche Medien sehen die Schuld für verspätete oder ungenaue Meldungen hauptsächlich bei der Informationspolitik der japanischen Regierung.

Wie bewerten Sie die derzeit in Deutschland scharf kritisierte japanische Informationspolitik?

Zu berücksichtigen ist dabei, unter welchen Umständen gearbeitet wird. Die Verantwortlichen stehen unter großem Druck. Das gilt auch für die betroffenen Menschen und die Mitarbeiter an Ort und Stelle. Der Regierungssprecher ist kein Fachmann, was Atomkraftwerke betrifft. Deshalb kann er nicht genau beschreiben und beurteilen, was vor Ort passiert. Die Journalisten besitzen ebenfalls nicht genügend Fachkenntnisse, was bisweilen zur Verwirrung führt. Auch die meisten Bürger wissen noch nicht, was die Katastrophe für sie bedeutet.

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