Im Kollektiv ein Leben lang

Die Regenbogenfabrik in Kreuzberg wurde vor 30 Jahren besetzt – das wurde am Wochenende ordentlich gefeiert

Gemeinsam ist es am schönsten: Stockbrot-Grillen beim Jubiläumsfest in der Regenbogenfabrik
Gemeinsam ist es am schönsten: Stockbrot-Grillen beim Jubiläumsfest in der Regenbogenfabrik

Der Frauenchor »Judiths Krise« wirkt auf der Bühne ein wenig schrullig. Mit viel Selbstironie singen 16 Frauen über »coole alte Damen«, die dem Jobcenter ein Schnippchen schlagen und nicht aufhören, solidarisch zu sein. Die Sängerinnen kommen alle aus dem Umfeld der Regenbogenfabrik, und die meisten von ihnen sind bereits etwas älter. Wenn die Hausgemeinschaft sich zum 30-jährigen Jubiläum trifft, dann sind noch immer viele ehemalige Besetzer aus der Anfangszeit dabei.

Ein pubertierendes Mädchen, das während des Dokumentarfilms über die Regenbogenfabrik im Kino auf den Fußboden sitzt und in einer Zeitschrift blättert, fällt dabei aus dem Rahmen. Jugendlich rebellisch ignoriert sie die Feierstimmung im Saal; während auf der Leinwand bärtige Freaks und Hippie-Frauen die Gebäude entrümpeln. Ein Aufbruch liegt über der Filmszene aus den frühen 80er Jahren. Die Besetzer schufen sich einen Freiraum, in dem sie gemeinschaftlich leben und arbeiten wollten.

Daran hält die Regenbogenfabrik in der Lausitzer Straße fest. Noch immer funktioniert sie als Kollektiv. 35 Bewohner leben in den Wohnungen, und in den Remisen auf dem Hof laufen die Projekte. Eine Kinderbetreuung, Tischlerei und Fahrradwerkstatt gab es schon, als das Gelände besetzt war. In den ersten Jahren lebten die Bewohner in einer Ungewissheit, dann handelten sie mit der Eigentümergesellschaft Verträge für die alte Dampfsägefabrik aus. Für Christine Ziegler waren das »Spekulanten«. Sie löffelt im Vorderhauscafé genüsslich den Schaum von ihrem Milchkaffee und erzählt Geschichten von ihrer Fabrik. Sicherheit habe es für die Bewohner erst gegeben, als der Senat das Gelände 1985 kaufte. Fortan konnte sich die Gemeinschaft entwickeln. In den 90er Jahren richteten sie das Hostel ein. »Anfangs gaben wir unseren Besuchern den Schlüssel in die Hand und überließen ihnen die Räume.« Das sei jedoch nicht gut gegangen: Die jugendlichen Touristen kamen, guckten, feierten, ließen den Dreck liegen und waren wieder verschwunden. Binnen kurzer Zeit versanken die Schlafräume im Chaos. »Wir haben das nicht ausgehalten.« Also beschloss das Plenum, die Zügel in die Hand zu nehmen und eine Rezeption einzurichten.

Alle Einrichtungen haben sich zu einem gemeinnützigen Verein zusammen geschlossen. Wer Überschüsse erwirtschaftet, trägt damit die anderen Projekte. Die Fahrradwerkstatt ist ein Selbstschrauberladen mit Anleitung. Sie hat zwar ein reichhaltiges Ersatzteillager – vielleicht ist es das am besten sortierte in der Stadt –, doch Erträge kann die Werkstatt nicht erwirtschaften. »Wir haben viel darüber diskutiert, ob wir mit dem Jobcenter zusammen arbeiten«, sagt Christine Ziegler. Niemand soll vom Amt geschickt werden, das stand für alle außer Frage. Aber, wenn es eine Notwendigkeit für eine Beschäftigung gebe, könne sie mit der Unterstützung einer Fördermaßnahme umgesetzt werden. Dazu rangen sich die Kollektivisten schließlich durch.

Noch immer gelten in der Regenbogenfabrik alle Arbeiten als gleichwertig; das sagt der Koch genauso wie die Tischlerin. Nur so funktioniere eine solidarische Ökonomie; und doch stößt das Modell an seine Grenzen. Denn die Kantine und das Hostel wirtschafteten rentabel und wachsen allmählich aus dem Modell heraus.

Längst reifen bei den Kollektivisten neue Pläne: Sie wollen das Gelände vom Senat in Erbpacht übernehmen, und vielleicht werden sie auch eine Genossenschaft gründen, um sich neu zu organisieren. Noch ist nichts entschieden, aber eines ist sicher, auf die Regenbogenfabrik kommt auch in Zukunft viel Arbeit zu.

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