Deutsche Spitzenleistung

Topf & Söhne – eine »ganz normale« Firma und der Holocaust

  • Manfred Weißbecker
  • Lesedauer: 3 Min.

Auschwitz wäre ohne die von der Erfurter Firma »Topf & Söhne« gelieferte Technik nicht möglich gewesen. Dies bestätigt das Buch von Annegret Schüle überzeugend. Dem Leser offenbaren sich grausige Geschäfte aus der Geschichte eines großindustriellen Betriebes, der 1878 in Erfurt entstand und als eines der führenden Unternehmen in Deutschland bei der Herstellung von Brauerei- und Siloanlagen, von Dampfkesselhäusern und Feuerungstechnik galt.

Die Gliederung des Bandes folgt betriebs-, technik- und familiengeschichtlichen Ereignissen. Von größtem Interesse ist jener Teil, der Anlass zum Schreiben des Buches wie auch für die Einrichtung des Ende Januar 2011 eröffneten Museums auf dem ehemaligen Firmengelände gewesen ist. Hier belegt die Verfasserin detailliert und akribisch, worin eine Mitwisser- und Mittäterschaft der Inhaber, Ingenieure, Kaufleute und Monteure von »Topf & Söhne« am faschistischen Völkermord bestand.

Die Firma stürzte sich, als der Krieg nahte und massenhaft Tote zu erwarten waren, regelrecht auf das Geschäft. Sie erkannte in den KZ-Krematorien einen »zukunftsfähigen Markt«. Bereits vor dem 1. September 1939 entwarf und baute sie »Abfallvernichtungsöfen«, fahrbare – in Absprache mit der SS-Führung und von dieser ganz offensichtlich als verlässlicher Partner geschätzt. Schritt für Schritt wurden immer »leistungsfähigere« Öfen zur Verbrennung von Leichen hergestellt. Ihre Lieferung erfolgte vor allem in die KZ Buchenwald und Auschwitz-Birkenau, vor Ort wurden sie von Mitarbeitern montiert und getestet, repariert und vervollkommnet. 1943 lobte ein hochrangiger Nazi: »Das sind Spitzenleistungen!«

Die Autorin fragt, was es bedeutet, dass ein aus ihrer Sicht »ganz normales« Unternehmen in der Hölle von Auschwitz agierte und menschenverachtende Geschäfte mit der SS gemacht hat. Dies ohne wirtschaftliche Not, denn die Lagerkrematorien machten nur zwei Prozent des Umsatzes aus. Annegret Schüle bemüht sich darüber hinaus um ein Urteil über jene Versuche, nach 1945 von »unschuldiger Technik« zu reden, das eigene Tun zu vertuschen, zu bestreiten oder schlicht zu leugnen. Die zahlreich im Text enthaltenen Belege sowie die im Anhang reproduzierten Dokumente sprechen jedoch eine eindeutige, erschütternd kaltherzige und menschenverachtende Sprache: Da ging es um Gewinn, um persönliche Vorteile, vaterländische Pflichterfüllung und Liebe zur Technik, vor allem aber um nationalistisch geprägte Anpassungsbereitschaft und generelle Unterstützung profitversprechender Politik. Von »Tätern mit gutem Gewissen« schreibt Annegret Schüle und konstatiert, es habe beim Pakt mit dem Teufel an »moralischer Stärke« gefehlt.

Den Fragen nach der Rolle gesellschaftlicher Verhältnisse und Strukturen geht die Verfasserin weniger nach. Es hätte nahe gelegen, an das von Karl Marx benutzte Zitat eines englischen Gewerkschafters zu erinnern, wonach Kapital bei entsprechendem Profit »kühn« werde und für 100 Prozent »alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß« stampfe. So aufschlussreich alles ist und in anzuerkennender Akribie und Ausführlichkeit darlegt wurde – eingebunden in die Geschichte eines kapitalistischen Wirtschaft- und Gesellschaftssystems wird es nicht. Trotz außerordentlich guter Quellenlage heißt es hier mit dem Blick auf die Zeit von 1914/18 lakonisch: »Im Ersten Weltkrieg wurde die Produktion um Granaten, Geschützprotzen und andere Kriegsfahrzeuge erweitert«. In noch stärkerem Maße wäre wohl die Rüstungsproduktion von »Topf & Söhne« für den Zweiten Weltkrieg einer Analyse wert gewesen. Dennoch regt der Band dazu an, auch den Krieg als moralisches Versagen, als Verbrechen zu thematisieren.

Am Ende verweist Annegret Schüle auf die Aktualität des Themas: Es könne sich auch heute der »als selbstverständlich angenommene Respekt vor Menschenwürde und Menschenleben als bloßer Firnis herausstellen, der, bricht er unter bestimmten Umständen auf, das Gegenteil bloßlegt: das Einkalkulieren oder sogar aktive Arbeiten dafür, dass Menschenwürde verletzt und Menschenleben vernichtet werden.« Wie wahr!

Annegret Schüle: Industrie und Holocaust. Topf & Söhne. Die Ofenbauer von Auschwitz. Hrsg. von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Wallstein Verlag, Göttingen. 464 S., geb., 29,90 €.

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