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Sturm auf die »rote Bastion« begann

Kann sich die Linksfront im indischen Unionsstaat Westbengalen behaupten?

  • Hilmar König
  • Lesedauer: 3 Min.
Im indischen Unionsstaat Westbengalen begann am Montag die erste von insgesamt sechs Etappen zur Wahl der Volksvertretung (Assembly). Seit 34 Jahren regiert in Kolkata eine Linksfront. Die Opposition war jedoch noch nie so stark wie in der jüngsten Vergangenheit.

Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass die Tage der Koalition aus KPI (Marxistisch), KPI, Vorwärtsblock und Revolutionärer Sozialistischer Partei gezählt sind. Vorn liegt »Jot«, eine Allianz aus der Regionalpartei Trinamool Congress (TMC) und der Kongresspartei. Allerdings schmolz deren Vorsprung in den letzten Wochen. Die Linken schöpfen daraus die Hoffnung, dass sie einen Regierungsverlust trotz aller Widrigkeiten verhindern können. Prakash Karat, Generalsekretär der KPI (M), versicherte in einem Fernsehinterview, man habe Boden zurückgewonnen, die Linksfront habe die Lektionen gelernt, die ihr bei vorangegangenen Wahlen auf verschiedenen Ebenen in den vergangenen zwei Jahren erteilt worden waren. »Unserer Einschätzung nach werden wir gewinnen«, bekräftigte der Generalsekretär optimistisch.

Dennoch: Die Linken kämpfen diesmal mit dem Rücken zur Wand. Sie mussten öffentlich Fehler eingestehen, vor allem in der Industrialisierungspolitik, die besonders die ländliche Wählerschaft verunsicherte. Die Rede war sogar von einem »Korrekturprogramm«. Bei der Kandidatenaufstellung fiel ein Dutzend der gegenwärtigen Minister durch. 149 der 292 linken Bewerber um die Assembly-Sitze sind Neulinge, darunter mehr Jugendliche, 35 Prozent mehr Frauen und 33 Prozent mehr Muslime. Aus der KPI (M), der stärksten Kraft in der Linksfront, sollen im Zuge einer »Selbstreinigung« über 20000 Mitglieder ausgeschlossen worden sein. Es gibt Stimmen unter den Marxisten, die meinen, ein paar Jahre in der Opposition würden der Partei ganz gut tun.

Noch vor dem Wahlkampf hatte Ardhendu Bhushan Bardhan, Generalsekretär der KP Indiens, selbstkritisch eingeschätzt: »Nach 34 Jahren an der Macht ist die Linke in Westbengalen dickköpfig und arrogant geworden. Mir scheint, es gibt eine Entfremdung zwischen Kadern und Aktivisten einerseits und der Bevölkerung andererseits.« Auch Westbengalens Chefminister Buddhadeb Bhattacharjee, Mitglied des Politbüros der KPI (M), gab zu, Fehler beim Landerwerb für das Tata-Autowerk in Singur gemacht zu haben. Das Projekt musste wegen geharnischter Proteste abgebrochen und in den Unionsstaat Gujarat verlegt werden.

Sein Parteikollege Gautam Deb, der Bhattacharjee im Falle eines Wahlsiegs der Linksfront als Chefminister ablösen könnte, schürfte noch etwas tiefer: Die Regierung in Kolkata habe sich auf Investitionen von Tata und anderen Großkonzernen konzentriert. So sei bei den Armen der Eindruck entstanden, die Linksfront entferne sich von ihnen. Dabei handelt es sich gerade um jene Wähler, die einst von der umfassenden Bodenreform in Westbengalen profitierten. Heute bangen sie darum, dass sie ihr Stückchen Land für Industrieprojekte opfern müssen.

Im Oppositionsbündnis »Jot« gab TMC-Chefin Mamata Banerjee, Indiens Eisenbahnministerin, aggressiv den Ton an: Westbengalen stehe nach »Jahren von Folter und Ausbeutung« vor der Entscheidung »Demokratie oder Totalitarismus«. Der Chefminister sei weder ein Kommunist noch fortschrittlich. Er habe Recht und Ordnung, den Finanzen und der Industrie Westbengalens den »kompletten Kollaps« beschert. Die Linksfront warte darauf, »begraben zu werden«.

Sonia Gandhi, die Vorsitzende der Kongresspartei, wollte Frau Banerjee nicht nachstehen und wetterte über »34 Jahre kommunistische Misswirtschaft«. Die Linksfront habe nichts für den einfachen Bürger und für die Wohlfahrt der Menschen getan. Sie habe der Bevölkerung nur Träume angedreht.

Beide Politikerinnen glauben, das Wahlvolk werde mehrheitlich für »Poriborton“« (Wandel) auf allen Gebieten stimmen. Eine späte Wende sei besser als gar keine. Das TMC-Manifest »Visionen« listet die Vorhaben auf: Die Industrie müsse durch Unterstützung von Kleinst-, Klein- und Mittelbetrieben, durch die Wiederbelebung der staatlichen Unternehmen und durch große Privatinvestitionen angekurbelt werden, besonders auf dem Lande sei für ein besseres Gesundheitssystem zu sorgen, ein ehrgeiziges Infrastruktur- und ein Agrarentwicklungsprogramm seien zu verwirklichen und die Beamtenschaft müsse aus »Parteifängen« befreit werden.

Am 13. Mai, einem Freitag, wird sich nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses zeigen, ob diese Versprechen ausreichten, die »rote Bastion« zu erobern.

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