Nicht mehr Spiel und doch nicht Arbeit

Dresdner Hygiene-Museum zeigt sportliche Ausstellung zum Thema Sport

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 6 Min.
Bodies in urban spaces.
Bodies in urban spaces.

Der ungarische Künstler Antal Lakner hat Fitnessgeräte entworfen. »Wallmaster 2« heißt eine der weiß-blauen Metallkonstruktionen. Sie steht in der aktuellen Ausstellung des Dresdner Hygiene-Museums, die sich unter dem Titel »Auf die Plätze!« mit dem Thema Sport befasst, neben dem »Herkules«, einem Respekt einflößenden Trainingsgerät, an dem DDR-Spitzensportler einst ihre Muskeln stählten. Der »Herkules« könnte mit seinen Stützen und Streben, den harten Bänken sowie Rollen und Seilzügen einer Folterkammer ebenso gut entstammen wie einer Fabrik, und tatsächlich wird berichtet, dass es wie in einer Werkhalle hämmerte und stampfte, wenn eine Gruppe von Athleten die Gewichte in Bewegung setzte.

Lakners »Wallmaster 2« ist, verglichen damit, ein fast graziles Gerät: In einem senkrechten Ständer wird eine an einem langen Stiel befestigte Rolle auf- und abwärts geführt. Weil die Rolle an Gewichten hängt, ist auch hier Anstrengung notwendig, um sie in vertikale Bewegung zu versetzen. Die Mühe ähnelt der, die bei der Arbeit mit einer Malerrolle aufgebracht werden muss, wenn die Farbe zäh geworden ist. Ein Zufall ist das nicht: Der »Wallmaster 2« bildet, wie ein Foto zeigt, aufs Genaueste die Arbeitsbewegung eines Anstreichers nach. Daneben steht ein zweites, von Lakner entworfenes Sportgerät, bei dessen Gestaltung dem 1966 geborenen Künstler ein schelmisches Lächeln im Gesicht gestanden haben dürfte. Das Gerät ähnelt einer Schubkarre. Wird sie angehoben, setzen sich ein Laufband und damit auch der Sporttreibende in Bewegung.

Warum aber gilt der Turnhemdträger an Lakners Maschine als Sportler, der Gärtner, der eine Schubkarre voll Mist über seine Beete wuchtet, jedoch nicht? Warum, andererseits, wird das gemächliche Rudern eines Bootes über den Stadtpark-Teich nur als »Gondeln« bezeichnet, und wann wird daraus Rudersport? Wenn das Boot auf gerader Linie energisch vorangetrieben wird? Wenn der Ruderer heftig transpiriert? Oder erst, wenn er dreimal wöchentlich über den Teich jagt? Sport, sagt die Schriftstellerin und bekennende Sporthasserin Sybille Berg, beginne für sie dort, wo »Bewegung den Bereich der Leichtigkeit verlässt und zur Sucht wird«. Sport, zitiert die Ausstellung im Hygiene-Museum eine frühe Übersetzung des ursprünglich aus dem Englischen stammenden Begriffs, sei »mehr als Spiel und doch nicht Arbeit«.

Der Drang nach sportlicher Bewegung wurde ein gesellschaftliches Phänomen spätestens an dem Punkt, da Arbeit zunehmend im Sitzen verrichtet und Schubkarren höchstens noch über die virtuelle Plantage einer Spielkonsole geschoben wurden. Der Drang nach Bewegung und das Bedürfnis, den auf Bürostuhl und Fernsehsessel erschlafften Körper zu straffen, wird nun zahlreich in Vereinen, Fitnessstudios oder auf Parkwegen ausgelebt, und wer in die angestrengt verzerrten Gesichter blickt, findet bestätigt, dass derlei Bewegung weit mehr als nur Spiel ist. Sport hat die Massen ergriffen – und insofern erscheint es beinahe zwangsläufig, dass sich das Deutsche Hygiene-Museum Dresden als selbst ernanntes »Museum vom Menschen« der Sache angenommen hat. Fast jeder Mensch treibt Sport, guckt Sport – oder hasst Sport: »Wirkliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Thema gibt es nicht«, sagt Direktor Klaus Vogel. Dessen Haus zeigt derzeit auch eine viel beachtete Ausstellung über Religion. Darüber, ob Sport deren Rolle übernommen hat, wird gern spekuliert – immerhin werden Stadien oft als Kathedralen der Gegenwart bezeichnet. Zugleich ist in Zeitungen »der Sportteil so dick wie das Feuilleton«, sagt Vogel – nur zwei Indizien für die gesellschaftlichen Relevanz des Themas, aufgrund derer man sich in dem Dresdner Museum das Kommando gab: »Auf die Plätze!«

Die von der Wienerin Susanne Wernsing kuratierte gleichnamige Ausstellung schlägt dabei einen Weg ein, der sie von anderen Expositionen zum Thema unterscheidet: Weder werden nur Pokale, Trophäen und Reliquien aneinander gereiht, noch wird Sport nur als Gegenstand künstlerischer Darstellung begriffen. Wernsing und ihre Mitstreiter versuchen stattdessen zu zeigen, wie Sport dazu dient, den eigenen Körper zu formen, um so physische Limits ausloten, aber auch den Gesundheitsidealen der Gesellschaft entsprechen zu können; sie fragen, welche Rolle der Wettkampf zwischen einzelnen Sportlern und Nationen spielt und ob er Ersatz für gewaltsame Konflikte ist oder diese mit anderen Mitteln fortsetzt. Gezeigt wird auch, in welch starkem Umfang Sport zum kommerziellen Geschäft geworden ist und wie der zunehmende Druck dazu verleitet, die Leistung mit eher umstrittenen Mitteln zu steigern – sei es mit Schwimmanzügen wie dem Speedo LZR Racer, der 2008 für eine Rekordflut sorgte, bevor er verboten wurde, sei es durch medizinische Mittel, die, wie ein Exponat zeigt, bei der Tour de France 1954 freilich noch im offiziellen Athletenkoffer mitgeführt wurden. Jenseits von derlei Leistungswahn entwickeln sich neue Trendsportarten, die, so eine These im letzten Raum der Ausstellung, den spielerischen Aspekt des Sports wieder betonen, zugleich aber für weitere Ökonomisierung sorgen.

Naheliegend ist, dass eine Ausstellung zu diesem Thema den Besucher zu sportlicher Aktivität einlädt. Übertriebener Wettkampfeifer ist jedoch nicht notwendig, um den von Bühnenbildner und Ex-Volleyballer Jan Pappelbaum entworfenen Parcours zu bewältigen, der sich im ersten Raum zwischen Sprossenwänden entlangschlängelt und im zweiten durch ein Labyrinth aus Netzen mäandert, bevor er in einer Arena mündet. Geübtere Besucher können dabei hangeln, klettern, springen und auf diese Weise quasi selbst zum Exponat der Ausstellung werden. An einem Boxsack lässt sich sogar Adrenalin zum Klingen bringen: Bei gezieltem Fausteinsatz erklingt die Filmmusik aus »Rocky IV«. Wer es bequemer mag, kommt auch ohne Schweißperlen durch die Ausstellung, die immer wieder mit witzigen oder hintersinnigen optischen Einfällen aufwartet – etwa im »Wettkampf«-Raum, in dem Schläger aus verschiedensten Sportarten wie Pfeile auf eine Vitrine zuzufliegen scheinen, in der Fechtmasken, Helme und der Körperschutz eines American Footballers hängen, aber auch der Kürass eines preußischen Soldaten. Sport, so zeigt sich hier, hat noch immer viel mit Kampf zu tun. Auf ein »Stoßkissen«, an dem Fechter trainieren, ist sogar ein Herz gemalt.

Auch diejenigen, denen derlei in sportliche Regeln gekleideter Kampf ebenso fremd ist wie die Quälerei in Rennradsätteln oder an überhängenden Felswänden, kommen in der Ausstellung auf ihre Kosten – sei es dank witziger Exponate wie einem früheren Rennanzug der Schweizer Ski-Nationalmannschaft, der wie ein löchriger Käse gestaltet ist, sei es dank einer Installation, die Zuschauer zum Mitspielen einlädt und sie dabei zum Kooperieren zwingt, weil Wettstreit nicht zum Ziel führt; sei es schließlich dank des Katalogs, der neben faszinierenden Fotos auch lesenswerte Essays enthält – und das kontroverse Interview mit Sybille Berg, die Sport harsch ablehnt. »Nur wer sich eigentlich verachtet, kommt auf die Idee, sich zu formen, zu stählen, an irgendwelche Grenzen zu bringen«, sagt sie: »Sobald die Endorphine einschießen, ist Schluss mit lustig.« Na dann: Sport frei!

»Auf die Plätze. Sport und Gesellschaft«. Bis 26. Februar 2012 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1. Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Eintritt 7/3 Euro, freitags ab 15 Uhr umsonst.

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