Bund fordert von Hunderttausenden Bürgern Geld zurück – »wegen schädlicher Verwendung«

Riester-Rente

  • Lesedauer: 4 Min.
Die Riester-Rente steht einmal mehr am Pranger. Meldungen wie »der Staat verlangt 490 Millionen Euro an Riester-Zulagen zurück« erschreckten kürzlich viele Zeitungsleser, Fernsehzuschauer und Verbraucher. Der Bund fordert von Hunderttausenden Bürgern sein Geld zurück. Sie sollen die staatlichen Prämien unzulässig verwandt oder unter falschen Angaben beantragt haben. Damit gerät die von Anfang an politisch umstrittene private Altersvorsorge erneut in den Fokus des Verbraucherschutzes.

Die private Altersvorsorge, insbesondere die sogenannte Riester-Rente, hatte von Anbeginn an ein doppeldeutiges Janusgesicht aufgesetzt: Einerseits steht dahinter ein politisches Konzept, das von Gewerkschaftern und der politischen Linken heftig kritisiert wurde; anderseits ist es als Geldanlage gerade für den »kleinen Mann« kaum zu schlagen.

Rentenkürzung aus dem Jahr 2000/2001 war der Anlass

Namensgeber für die Riester-Rente war Walter Riester, der als Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die Förderung der privaten Altersvorsorge durch eine staatliche Zulage vorschlug. Anlass war die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung 2000/2001, bei der das Rentenniveau des sogenannten Eckrentners, also eines idealtypischen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, der 45 (!) Jahre lang Sozialversicherungsbeträge eingezahlt hat, von 70 auf 67 Prozent gesenkt wurde. In der Realität fällt die durchschnittliche Rente noch kleiner aus. Dieses Rentenloch sollte zukünftig durch privates Sparen geschlossen werden, beschlossen Riester und die damalige rot-grüne Bundesregierung.

Einführung der Privatversicherung

Mit dieser Privatisierung, so die Kritik von Gewerkschaften und Sozialverbänden, werde die gesetzliche Rentenversicherung weiter ausgehöhlt. Schon vorher hatte dazu die betriebliche Altersvorsorge beigetragen.

Ein weiterer Kritikpunkt: Für viele, vor allem einkommensschwächere Bürger, dürfte die private nicht ausreichen, um das Loch in der gesetzlichen Rente zu stopfen.

Viele Wirtschaftswissenschaftler kritisieren ihrerseits, dass zusätzliche Kaufkraft abgezogen wird, weil mehr Menschen mehr Geld für die Altersvorsorge zurücklegen, statt zu konsumieren. Genau so kam es: Mittlerweile gibt es mehr als 14 Millionen Riester-Verträge. Auch zur Freude der Finanzdienstleister, denn der Anteil am erwirtschafteten gesellschaftlichen Produkt, den sich Banken und Versicherungen aneignen, hat durch »Riester« zugenommen.

Vor allem Familien mit Kindern nutzten »Riester«

Nachdem die politische Schlacht verloren war, bauten Gewerkschaften eigene Altersvorsorgefonds auf. Somit bleibt das Geld teilweise in der Verfügung der Gewerkschaften. Beispielsweise bietet die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) ihren Mitgliedern die »BauRente ZukunftPlus« als individuelle betriebliche Altersvorsorge an.

Anderseits ist »Riester« – oder wahlweise »Rürup« und »Wohn-Riester« – als Geldanlage durchaus attraktiv. Wenngleich üppige Provisionen, die Verkäufer kassieren, ebenso die Renten schmälern wie die von den Versicherern zugrunde gelegte hohe Lebenserwartung. Wer bereits die anderen staatlich geförderten Sparprogramme voll ausnutzt (Vermögenswirksames Sparen / Arbeitnehmersparzulage / Wohnungsbauprämie), für den ist die Riester-Rente geradezu ein Muss. Selbst mit kleiner Kasse: Vor allem Familien mit Kindern sollten die Chancen von »Riester« nutzen.

Bereits 1,5 Millionen Rückforderungen veranlasst

Doch dann hagelte es im April Medienberichte über die Rückforderung von staatlichen Zulagen. Die für die Verwaltung der Riester-Verträge zuständige Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen in Berlin hat nach Angaben des Bundesfinanzministeriums bislang 1,5 Millionen Rückbuchungen veranlasst. Davon sollen allerdings nicht 1,5 Millionen Personen betroffen sein, sondern 1,5 Millionen einzelne Buchungsvorgänge, wie beispielsweise Monatsraten. Das Volumen der Rückbuchungen betrage 490 Millionen Euro, sagte eine Sprecherin des Finanzministeriums dem Fachblatt »Versicherungsjournal«.

Das Ministerium verteidigt den Vorgang der Rückforderung. Dabei spielten eine »schädliche Verwendung« ebenso eine Rolle wie falsche Angaben im Antrag oder fehlende nachträgliche Angaben zu veränderten Lebensumständen.

Änderungen sind unbedingt mitzuteilen

Der wichtigste Grund sind fehlerhafte »Dauerzulagenanträge«. Damit Riester-Sparer nicht jedes Jahr einen neuen Antrag stellen müssen, war 2005 die Möglichkeit eines Dauerauftrags geschaffen worden. Der Alterssparer ist allerdings verpflichtet, Änderungen, die sich auf den Zulageanspruch auswirken, seinem Anbieter unverzüglich mitzuteilen. Hierzu zählen etwa Änderungen im Familienstand, der Anzahl der Kinder oder die Beendigung der Zugehörigkeit zum berechtigten Personenkreis. Das wurde von vielen Verbrauchern versäumt.

Ersatzforderungen hängen vom Einzelfall ab

»Die Komplexität der Förderung überfordert Verbraucher, Berater und sogar die Zulagenstelle«, kritisiert Niels Nauhauser, Geldexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Nauhauser sieht auch die Versicherer gefordert. Sparer, die von der Rückforderung bereits gutgeschriebener Zulagen durch die Zulagenstelle betroffen seien, sollten nun prüfen, ob dem Versicherungs- oder Bankmitarbeiter die förderschädlichen Umstände bekannt waren.

Ob Ersatzforderungen bestehen, hängt vom Einzelfall ab. »Wer Abschluss- und Bestandsprovisionen für die gesamte Vertragsdauer einstreicht, sollte Verbraucher über alle Umstände der Riester-Förderung auch nach Vertragsabschluss informieren«, stellt Nauhauser die Versicherungswirtschaft an den Pranger.

HERMANNUS PFEIFFER

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