Wer füllt die Lücke?

Berliner Philharmoniker kündigen Salzburg – zwei Mal »Salome« vor dem Hintergrund dieser Nachricht

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
»Salome« in Berlin
»Salome« in Berlin

So schnell kann es aus sein mit vermeintlich festen Größen im Opernkalender. Die Berliner Philharmoniker haben den Salzburger Osterfestspielen die Zusammenarbeit aufgekündigt – nachdem sie noch vor wenigen Wochen an der Salzach mit einer »Salome« im XXL-Format aufgetrumpft und ihre Pläne für »Carmen« im kommenden Jahr kundgetan hatten. Diese »Carmen« wird nun das letzte Gastspiel der Berliner auf jenem Festival sein, das der Herbert von Karajan 1966 nicht zuletzt als Spielstätte für »seine« Philharmoniker gegründet hatte. Von Beginn an waren die Auftritte dieses Orchesters als Glanz- und Höhepunkte mit den Festspielen verbunden. Damit ist es nun aus – ein ziemlich rabiates Stück von zeitgeistigem Selbst-Vermarktungsmanagement.

Nun waren die Salzburger Osterfestspiele für die Berliner Philharmoniker zwar ein einträglicher Abstecher, für den normal betuchten Opernfan aber nie ein bezahlbarer Zusatztermin. Selbst der vom Hinschmeißen der Berliner kalt erwischte Chef der Osterfestspiele, Peter Alward, hält das Unternehmen samt seiner Kartenpreise (in der Spitze über 500 Euro) für zu teuer. Doch der Opernbetrieb braucht funkelnde Glanzpunkte – und den Salzburg im Sommer dominierenden Wiener Philharmonikern schadet Konkurrenz auf Augenhöhe wahrlich nicht.

War das Bekenntnis der Berliner zu Salzburg nur Taktik im Techtelmechtel mit dem Festspielhaus in Baden-Baden? Was immer der dortige Intendant Andreas Mölich-Zebhauser jetzt den Berliner Philharmonikern geboten haben mag, (mindestens vier statt zwei Vorstellungen und weitere Koppelgeschäfte gehören dazu) – offenbar hat es gereicht. Ab 2013 werden sie nach Baden-Baden wechseln. Die Idee, dass dann Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden die Osterlücke in Salzburg füllen könnte, bevor die schon mit den Hufen scharrenden Wiener Philharmoniker Salzburg komplett zu ihrer Filiale machen, ist zu verführerisch, als dass man sie für sich behalten sollte.

Was ein Aphrodisiakum für die etwas erschlafften Osterfestfestspiele sein sollte: die diesjährige »Salome«, wirkt nun im Rückblick wie ein Servus-Stück der Berliner Philharmoniker. Wie nahezu zeitgleich in Thilo Reinhardts »Salo- me«-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin schlug auch in Stefan Herheims Bearbeitung in Salzburg eine Ahnung der Kühnheit dieses genialen Richard-Strauss-Wurfes durch. Da gerade bei einem so komplex durchpsychologisierten Werk die musikalische Seite schon die halbe Miete ist, hatte man in Salzburg nicht nur die teureren, sondern musikalisch auch die besseren Karten. Was Rattle und seine Philharmoniker da boten, war eine Offenbarung aus ausdifferenzierter Transparenz und Leuchtkraft, Präzision und Klangsuggestion. Viel war zu hören, was sonst einfach untergeht. Dass ein Orchester wie jenes der Komischen Oper da – selbst wenn es unter Alexander Verdernikov in guter Strauss-Form ist – beim direkten Vergleich das Nachsehen hat, versteht sich von selbst. Dass aber die Sänger und Sängerinnen in der Berliner Produktion ihrem Kollegen in Salzburg in nichts nachstanden, zeigt, dass es nicht immer nur aufs Geld ankommt.

Thilo Reinhardt versuchte an der Komischen Oper eine Projektion der Herodes-Gesellschaft in eine nicht näher definierte Gegenwart. Im Tanz reißt die dünne Decke der zivilisatorischen Selbstbeschränkung im drastischen Spiel mit Tabubrüchen. Da bespringt Herodias einen Gekreuzigten, da laufen bei einem Moslem Pornos und Jesus wird zu einer »Hau den Lukas«-Figur, deren Heiligenschein flimmert, wenn Herodias den Riesenphallus mit dem Hammer trifft. Salome ergreift die Flucht in eine andere Identität. Sie träumt von einem Leben mit dem Revolutionär Jochanaan und nimmt dessen Identität an, als er von Herodias und den Juden zerstückelt wird.

Auch bei Herheim brechen im Tanz alle Dämme. Hier trifft sich eine illustre Ansammlungen religiöser und weltlicher Diktatoren. Hitler schwingt das Tanzbein mit einem Rabbi. Sechs aus dem Mond fallende Salome-Doubles werden zu einer rächenden Amazonentruppe, die den männlichen Tyrannen die Kehlen durchschneidet. Als der Kopf des Jochanaan fallen soll, stehen alle wieder auf und vollziehen kollektiv den Tötungsbefehl des Herodes. Während aber in Berlin im Laufe des Abends die Spannungskurve steigt, flacht sie in Herheims entfesseltem Bildertheater ab. So faszinierend dessen Regiekunst ist, wenn er in der bekannten eine neue Geschichte erzählt (etwa in seinem Bayreuther »Parsifal« oder in der Dresdner »Rusalka«), so sehr kann dieses Fabulieren danebengehen, wenn Herheim ein ambitioniertes Deutungskonzept damit bebildert.

Nächste Vorstellung in der Komischen Oper Berlin: 21.5.

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