Was taugt der AKW-Stresstest?

Experte Wolfgang Renneberg über die Schnellprüfung deutscher Reaktoren / Renneberg war von 1998 bis 2009 Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Herr Renneberg, als gestern die Reaktorsicherheits-Kommission ihren Bericht an die Bundesregierung gegeben hat, haben die Umweltverbände unterschiedlich reagiert. Die einen halten die Ergebnisse für unbrauchbar, die anderen sehen in ihnen den Beleg, dass die ältesten Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssen. Was stimmt denn nun?
Renneberg: Der als Stresstest angekündigte Check war keine umfassende Sicherheitsüberprüfung der Kraftwerke. Deswegen eignen sich die Ergebnisse nicht als Grundlage für eine Entscheidung über die Zukunft der Atompolitik. Gleichwohl bestätigen sie, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt.

Inwiefern war die Überprüfung nicht umfangreich genug?
Die Sicherheit der Anlagen wurde weder systematisch noch vollständig geprüft. Die Anlagen sind auch nicht praktisch getestet worden, sondern die Reaktorsicherheits-Kommission hat lediglich Betreiberunterlagen ausgewertet. Ohne überprüfen zu können, ob diese Unterlagen die Verhältnisse in den Atomkraftwerken richtig wiedergeben. Und die Atomaufsichtsbehörden der Länder waren gar nicht beteiligt.

Was genau wurde überprüft, und was nicht?
Ignoriert wurde etwa die Frage, ob die Sicherheitssysteme ausreichen, um einen Störfall zu beherrschen. Stattdessen wurde untersucht, ob nach einem unterstellten Ausfall der Sicherheitssysteme zusätzliche Möglichkeiten zum Schutz vorhanden sind. Das ist so, wie wenn Sie einem altersschwachen Flugzeug mit stotterndem Motor ein besonders gutes Zeugnis ausstellen, nur weil es einen Fallschirm an Bord hat.

Apropos Flugzeug: Terroristische Angriffe wurden beim Stresstest untersucht.
Aber auch da gibt es keine neuen Erkenntnisse. Schon seit Jahren ist bekannt, dass die sieben ältesten Reaktoren einem Absturz eines schweren Fliegers nicht standhalten. Andere Schadensszenarien wurden überhaupt nicht betrachtet, etwa wenn Rohre brechen oder Brände entstehen. Diese Defizite der alten Anlagen fallen unter den Tisch.

Wie hoch waren die Anforderungen der Kommission?
Die Kommission hat verschiedene sogenannte Basislevel definiert, die nach ihrer Auffassung den jetzigen Stand der Technik beschreiben sollen. Allen Anlagen wird attestiert, dass sie das Basislevel einhalten. Dabei sind die älteren Kraftwerke bekanntermaßen nicht auf dem Stand der Technik, erst recht nicht auf dem Stand von Wissenschaft und Technik, der vom Atomgesetz gefordert wird.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Heute ist ein verbunkertes Notstandssystem Standard, von dem aus im Notfall der Reaktor heruntergefahren werden kann. Das Atomkraftwerk Biblis hat solch ein verbunkertes, unabhängiges Notstandssystem nicht. Trotzdem erfüllt Biblis nach Auffassung der Kommission das Basislevel.

Atomkraftgegner kritisieren, die Reaktorsicherheits-Kommission sei nicht unabhängig.
Viele der Experten haben den Reaktoren in den letzten 30 Jahren Sicherheit attestiert. Das kann Befangenheit auslösen. Das Problem ist: Es gibt unter den Sachverständigen kaum völlig unabhängige Experten, die solche eine Untersuchung durchführen können. Aber es liegt natürlich an der Bundesregierung, den Bericht der Kommission im Einzelnen zu prüfen, zu bewerten und die politischen Schlüsse zu ziehen.

Fragen: Felix Werdermann

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