Tribüne

Blutleer

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Tribüne

Ja, wir wissen’s: Fernsehen, zumal die sogenannten privaten Unterschichten-Sender, sind böse, Theater ist per se gut. Aber nicht immer: So simpel und vereinfachend schon Hans Weingartners Mediensatire »Free Rainer« aus dem Jahr 2007 ist, die gleichnamige Bühnenadaption in der Tribüne übertrifft den Film noch an Klischees und Stereotypen. Da wackelt der moralische Zeigefinger fast sichtbar mit.

Schon das Personal der Stückfassung von Gunnar Dreßler wirkt wie aus einem Lehrbuch für Grundschüler: flache, blutleere Figuren, völlig unglaubwürdig und aus dem Boden gestampft allein zu dem Zweck, die ebenso blutleere Story irgendwie mit Inhalten zu füllen. Da ist einmal Hauptperson Rainer, selbstgefälliger TV-Produzent der billigsten Sorte, karrieregeil und eitel. Bis er eines Tages von der naiv-rebellischen Pegah, die Rainer die Schuld gibt für den Selbstmord ihres Opas, mit dem Baseballschläger zusammengedroschen wird. Danach ist Rainer ein völlig neuer Mensch: Schließlich hatte er »im Krankenhaus viel Zeit zum Nachdenken« und findet jetzt auch, dass Trash-TV zum Untergang des Abendlandes führt. Zusammen mit Pegah und dem stotternden Philip will der Neo-Bildungsbürger die im ganzen Land verteilten Quotenmessgeräte manipulieren. Die Idee: Wenn plötzlich bei chinesisch untertitelten Autorenfilmen, ukrainischen Dokus und ambitionierten Theaterübertragungen die Quoten nach oben schnellen und bei Casting-Shows nach unten, wird sich etwas ändern. Das tut es auch, plötzlich sind Bücher wieder in und »DSDS« out. Doch Rainer und seine Hilfsguerilla haben nicht mit der Tücke des Systems gerechnet …

Zwar bemühen sich die Darsteller tapfer, die wie ausgestanzt wirkenden Protagonisten irgendwie mit Leben zu füllen. Doch wo Gefühle, Überzeugungen und ganze Lebensläufe nur behauptet werden

und die Dialoge auf Seifenoper-Niveau dahindümpeln, ist Hopfen und Malz verloren. Vor allem die Wandlung Rainers (Philipp Eckelmann) vom arrogant-egomanischen Karrieristen zum »Tabula rasa«-Radikalinski bleibt völlig unplausibel, ebenso wie seine plötzlich aufkeimenden Gefühle für gesellschaftliche Außenseiter wie Philip (Michael Hecht) und Pegah. Die wird von der sehr jungen Sabine Roßberg als aufmüpfiges Häschen gespielt, das sich dann natürlich noch in Rainer verlieben darf. Schmacht! Nico Nothnagel dagegen hat sich dankbar in seiner Rolle als zynischer Sender-Chef mit Gel im Haar eingerichtet: Wenigstens muss nicht auch er plötzlich zum Krieger für die gute Sache mutieren.

Einige gute Einfälle der Regisseurin Alice Asper wie der dosierte Einsatz von Ironie und die Einspielung schöner Indie-Rocksongs gehen in der aufgesetzten Story völlig unter. Und so ist, bei allem guten Willen dem Zweck des Stücks gegenüber, diese klischeehafte Theater-Revoluzzerstory schlichtweg überflüssig.

Bis 21.5., 20 Uhr, 22.5., 19 Uhr; Tribüne, Otto-Suhr-Allee 18, Charlottenburg, Tel. 341 90 01

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