Flotte in schwerer See

Offenbar Gewaltbereite unter Gaza-Aktivisten / Anschlag auf Schiff

  • Martin Lejeune, Korfu
  • Lesedauer: 4 Min.
In den kommenden Tagen sollen etwa zehn Schiffe gemeinsam die von Israel verhängte Seeblockade vor dem Gaza-Streifen durchbrechen und dringend benötigte Hilfsgüter in das palästinensische Gebiet bringen. Israels Marine ist angewiesen, diese Aktion zu stoppen. Die Teilnehmer sorgen sich inzwischen wegen offenbar gewaltbereiten Extremisten und Provokateuren in den eigenen Reihen.

Sorge in der Gaza-Hilfsflotte: Unter die arabischen Teilnehmer sollen sich gewaltbereite Aktivisten gemischt haben. Einige der Passagiere erwägen bereits einen Ausstieg aus der Aktion.

Im Laufe des Dienstags sind etwa 60 Aktivisten von Athen nach Korfu geflogen, um von dort aus am heutigen Mittwoch nach Gaza auszulaufen. Darunter war auch die »deutsche Gruppe«. Das Team diskutiert unaufhörlich die neuesten Nachrichten zu dem Konvoi, der die israelische Seeblockade des Gaza-Streifens durchbrechen und Hilfsgüter in das Palästinensergebiet bringen soll.

Dass Israel die Flotte nicht passieren lassen will, sorgt noch für die geringere Aufregung, das haben ohnehin etliche Teilnehmer erwartet. Was den meisten Europäern Sorge bereitet, sind Gerüchte über die 200 arabischen Teilnehmer, die von Akaba aus nach Gaza auslaufen sollen. Es heißt, es seien gewaltbereite Aktivisten darunter. Einige der friedfertigen Teilnehmer erwägen einen Ausstieg aus der Passage nach Gaza.

Friedbert Boxberger von der Palästina-Nahost-Initiative Heidelberg ist unsicher, ob er hier noch richtig sei. »Mir hat niemand während der Vorbereitungstreffen und Gespräche gesagt, dass auch noch 200 arabische Teilnehmer mit von der Partie sind. Das ist doch bestimmt nicht spontan in letzter Sekunde organisiert worden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unter dieser Gruppe nur Lämmer sind.« Zudem kritisiert er, dass die Teilnehmerstruktur zu heterogen und intransparent sei. »Mir ist nicht mehr klar, mit welchen Leuten ich hier alles zu tun habe. Und ich muss mich doch ganz auf die Mitpassagiere verlassen können in Extremsituationen.«

Marco Ramazzotti-Stockel, Teilnehmer aus Rom, beobachtet bereits eine Spaltung der Passagiere: »Es gibt Aktivisten von Bündnissen aus bestimmten Ländern, die tatsächlich in ihren Schulungen und Vorbereitungstreffen – ich habe selber daran teilgenommen – aktiven Widerstand gegen die israelische Armee geplant haben. Allerdings gibt es auch andere Gruppen, wie die Schweden, die für bedingungslose Gewaltlosigkeit eintreten und dementsprechend ihre Gruppenteilnehmer coachen.«

In Berlin hat der Deutsche Koordinationskreis Palästina Israel die Vorwürfe gegen die Gaza-Freedom-Flottille II zurückgewiesen. Weder hätten Aktivisten der Flottille chemische Substanzen bei sich, um sie gegen israelische Soldaten einzusetzen – dies war von verschiedenen Medien berichtet worden –, noch würden islamische Extremisten an der Flottille teilnehmen. Für derartige Meldungen gebe es keine konkreten Belege.

Sicher scheint, dass das griechische Schiff der Gaza-Flotte wohl nicht auslaufen wird: Trotz Bewachung wurde die Welle der Schiffsschraube am Montagabend durchtrennt, bestätigte gegenüber ND Vanguelis Pissias, Sprecher des Schiffes in Athen. »Es handelt sich offensichtlich um Sabotage.«

Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak erläuterte in der Nacht zum Dienstag, wie Israel die Gaza-Hilfsflotte stoppen will. Eine entsprechende Anweisung hatte Regierungschef Benjamin Netanjahu zuvor der Armee erteilt. »Wir werden sie zunächst warnen, wir werden erklären, wir werden Reibungen möglichst vermeiden«, erklärte Barak. »Aber letzten Endes kann die Flotte nicht nach Gaza.« Barak forderte die Organisatoren auf, die Pläne aufzugeben. Wie ND aus Quellen in Jerusalem erfuhr, haben israelische Behörden in Quidar bereits ein Gefängnis geräumt, in dem die 400 Passagiere der Gaza-Flotte nach einer möglichen Kaperung der Schiffe interniert werden könnten.

Bis zu sieben Schiffe liegen derzeit in griechischen Häfen und warten auf die Abfahrt. Der Plan ist, dass alle gleichzeitig ablegen. Doch jedes Schiff hat mit spezifischen Problemen zu kämpfen, auslaufen kann bislang keines. »Diese Probleme sind politisch gewollt«, betont der niedersächsische Kapitän des deutschen Frachtschiffes gegenüber ND. »Das Auslaufen der Schiffe wird verhindert durch subversive Aktivitäten der Hafenbehörden, vermutlich gesteuert durch Agenten Israels.« Sein Lösungsvorschlag: »Das einzige, was hilft, ist, NATO-Truppen nach Griechenland zu entsenden und die Schiffe freizubomben.«

Unterdessen sorgt der »Verhaltensleitfaden für die Flotten-Teilnehmer für Irritationen. Dort heißt es: »Es ist während der gesamten Reise verboten, mit Teilnehmern oder mit Palästinensern im Gaza-Streifen Sex zu haben«. Jean-Claude Maurice Marcel Canoine, Passagier auf dem europäischen Schiff, schüttelt mit dem Kopf: »Diese Regel passt nicht zu dieser Aktion. Sex ist doch das beste Mittel zur Völkerverständigung.«

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